von Hartwig Berger
Kommune, Politik-Ökonomie-Kultur, 2010, Heft 1
Zum Countdown einer 1995 in Berlin begonnenen Weltklimakonferenz sollte Kopenhagen werden. Nach jährlich wiederholten Verhandlungen war endlich eine Vereinbarung zum Weltklimaschutz zu beschließen, die alle Staaten der Erde umfasst. Keine Absichtserklärung, wie sie bereits die Weltklimakonvention von 1992 darstellt, sondern ein ambitionierter und vor allem ein rechtsverbindlicher Vertrag, der die unterschiedlichen Pflichten und Verpflichtungen global und gerecht regelt. Vor einem beschleunigten Countdown unserer Zivilisation stehen wir jetzt; denn ohne schnell einsetzende und massive Rückführung der Treibhausgas-Emissionen wird sie dieses Jahrhundert nicht überleben können.
Und so sind die Urteile zur Kopenhagen-Konferenz, der COP-15, ganz überwiegend vernichtend. Selbst in der Diplomatensprache von Fredrik Reinfeldt, immerhin einer der Verhandlungsführer der EU, wird sie „ein Desaster“ genannt. Von einem wirksamen Weltklimavertrag sind wir heute weiter entfernt, als vor Beginn der Konferenz zu erwarten war. Der Abschlusserklärung, die lediglich „zur Kenntnis genommen“ wurde, ist nicht einmal zu entnehmen, ob ein solcher Vertrag überhaupt noch gewollt ist.
Ein Ergebnis nahe Null
Vielfach gilt als Positivum, dass man sich im „Kopenhagen-Akkord“ darauf verständigt hat, die Erderwärmung bis zum Jahr 2050 auf durchschnittlich 20 Celsius gegenüber dem Stand von 1900 zu begrenzen. Doch diese Erwartung wird nicht eingelöst, wenn man den Text genau liest. Es wird lediglich akzeptiert, dass nach dem Stand der Wissenschaft das 2-Grad-Ziel zu setzen sei, eine ausdrückliche Festlegung als Ziel der Weltpolitik fehlt hingegen. Zum zweiten: Für die Wissenschaft ist ein Rückgang der Treibhausgase spätestens ab 2015 zwingend; der Akkord lässt das mit der Formulierung „so bald wie möglich“ offen. Vor allem aber sind zwei Zielsetzungen, die der erste Entwurf noch vermerkte , in der Endfassung wieder gestrichen: Die weltweite Halbierung der CO2-Emissionen gegenüber 1990 im Jahr 2050, sowie die Verpflichtung der 55 Länder, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet haben, ihren CO2-Ausstoß „ um mindestens 80% bis zum Jahr 2050“ zu verringern.
Beides scheiterte am Veto Chinas , das sich allen Festlegungen verweigerte, die den Weg zu eindeutigen Reduktionsverpflichtungen auch für Schwellenländern ebnen könnten. Umgekehrt hält der Akkord fest, dass die „soziale und ökonomische Entwicklung“ in sich entwickelnden Ländern – „von erster und ausschlaggebender Priorität“ ist. Das ist ein deutlicher Persilschein, ökonomisches Wachstum ungeachtet von Wind, Wetter und ihren Folgen durchzupowern.
Zu einem zweiten, oft positiv vermerkten Punkt des Akkords sind starke Zweifel angebracht: Die OECD-Länder erklären sich dazu bereit, im Zeitraum 2010-2012 30 Mrd. US-Dollar für Klimaanpassung, Walderhaltung und sonstigen Klimaschutz vor allem in den 24 Least Developed Countries verfügbar zu machen. Ab 2020 soll die Summe auf 100 Mrd. Dollar aufgestockt werden. Ob das mehr als schöne Worte sind, muss gegenwärtig dahinstehen, zumal zur Lastenverteilung zwischen den Geberstaaten nichts geklärt ist. Die Vorschläge Norwegens und Mexikos, die im Vorfeld jeweils handhabbare Konzepte zur Aufteilung entwickelt haben, werden nicht angesprochen. Die deutsche Bundesregierung hat im November 2009 vorgemacht, wie Zusagen unterlaufen werden können: Sie beschloss, Hilfen für klimapolitische Zwecke auf die bestehende Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit anzurechnen.
Der Kopenhagen-Akkord sagt ferner nichts dazu, wie eine weltweite Verringerung von Treibhausgasen erreichbar ist. Alle Staaten sind lediglich aufgerufen, bis zum 1. Februar 2010 ihre nationalen Pläne mitzuteilen. Der Klingelbeutel der Sonntagsmesse wird zur Maxime der Weltpolitik geweiht . Klimaforscher haben bereits vorgerechnet, dass eine Addition der vorliegenden nationalen Reduktionsziele auf eine Temperaturerhöhung von 3-4 Grad im Jahr 2050 , mit kaum auszumalenden Konsequenzen hinausläuft. Zudem werden quantitativ festgelegte Ziele nur von den Signatarstaaten des Kyoto-Protokolls erwartet, also z. B. nicht von den Hauptemittenten USA und China. Alle in der Entwicklung befindlichen Länder sind lediglich gehalten, eigene Aktivitäten zu melden, die sie zur Verringerung von Treibhausgasen für angemessen halten.
Verkehrte Welten
Die Realitätsferne des Kopenhagen-Akkords wird deutlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, mit welchen Auswirkungen der Klimawandel in vielen Regionen bereits stattfindet. Er trifft dort ganz überwiegend Menschen und Gesellschaften, die am Rande oder unterhalb des Existenzminimums leben. Die Kleinbauern der Sahelzone, im Andenhochland oder an den Hängen des Himalaya wissen nicht mehr, wann und wie sie aussäen sollen, weil sich die Regenzeiten verschieben und die Intensität der Regenfälle verändert. Brunnen und Wasserstellen trocknen aus, ein über Jahrhunderte eingeübtes System der Bewirtschaftung funktioniert nicht mehr. Den Hirtenvölkern in Ostafrika oder Zentralasien stirbt das Vieh, weil die Weidegründe verdorren. Und nicht nur in New Orleans, auch in vielen ärmeren Ländern werden Küstenzonen und ganze Städte von Stürmen unbekannter Stärke und Heftigkeit überschwemmt und verwüstet. So verlor Haiti durch Hurrikans 2004 20% und im Jahr 2008 17% seines Bruttosozialprodukts. Nach Schätzungen des Human Impact Report sterben im Jahr weltweit 300.000 Menschen aufgrund von Auswirkungen des Klimawandels. Wirtschaftliche Verluste durch Klimawandel, die gegenwärtig mit 125 Mrd. US-Dollar beziffert werden, treten zu 90% in den Entwicklungsländern auf .
Vor allem Akteure aus betroffenen Ländern haben die krasse Klimaungerechtigkeit zu einem beherrschenden Thema der Konferenz gemacht. Zunehmend wird die fortgesetzte Nutzung fossiler Energieträger in den wirtschaftlich entwickelten Staaten als Ausübung struktureller Gewalt gegen die Menschen und Regionen auf dem Planeten angeprangert, die den Klimawandel nicht zu verantworten, aber am stärksten unter ihm zu leiden haben. Sowohl die vergangene wie vor allem die fortgesetzte Erzeugung klimawirksamer Gase häuft eine ständig wachsende Klimaschuld der Verursacher gegenüber den Opfern und Betroffenen weltweit auf. Diese sowohl moralisch wie ökonomisch verstandene Verschuldung übersetzt sich in den Anspruch auf „Reparationen“, die für Klimaanpassung, die Unterstützung von klimabedingter Flucht und Migration und für Klimaschutz einzusetzen sind.
Wie weiter?
Sind hohe Erwartungen an Weltklimakonferenzen schlicht illusionär? Trotz der alarmierenden Berichte zur Entwicklung des Weltklimas treten die internationalen Verhandlungen auf der Stelle. Im Vergleich zu Kyoto 1997 ist sogar ein Rückschritt zu diagnostizieren, da es nach jetzigem Stand ab 2012 für keinen Staat auf der Erde mehr rechtsverbindliche Reduktionsziele geben wird. Aber kann eine Staatenversammlung überhaupt ein solches rechtsverbindliches und in der Praxis auch wirkungsvolles Abkommen beschließen, das alle mit ins Boot nimmt, das auf die globale Gefahr angemessen reagiert und das zudem Ansprüchen der Klimagerechtigkeit genügt? Manche, wie der englische Klima-Staatsekretär Ed Miliband oder der Europa-Abgeordnete Jo Leinen, drängen jetzt auf schnelle und gründliche UNO-Reformen. Eine Ersetzung der Einstimmigkeitsregel durch qualifizierte Mehrheiten kann die wechselseitige Lähmung der Einzelstaaten überwinden helfen. Angesichts des engen Zeitfensters, das der Klimawandel lässt, hilft aber das Vorhaben einer UNO-Reform in diesem Fall nicht. Schon die zunächst 15, später 27 EU-Mitglieder haben 10 Jahre benötigt, bis sie einen notwendigen Schritt zur institutionellen Reform mit dem Lissabon-Vertrag zum Abschluss gebracht haben.
Ein anderer Vorschlag, der nach dem Desaster von Kopenhagen Unterstützung findet, will eine verbindliche Klimavereinbarung auf die wirtschaftlich gewichtigen Staaten beschränken, die gleichzeitig zu rund 90% Hauptverursacher des Klimaproblems sind. Der Vorschlag überzeugt schon deshalb wenig, weil ein wirksamer Vertrag zur Emissionsreduktion in enger Runde die Auslagerung emissionsintensiver Wirtschaft in die Mehrheit der Länder fördert, welche nicht von der Vereinbarung erfasst sind. Eine Einigung unter den Hauptverursachern des Klimawandels ist zudem nicht sichtbar, da die Hauptbremser – China, Indien, Südafrika, Australien, Kanada, Russland und bisher noch die USA – mit im Boot sind. Vor allem aber wird eine Klimakonferenz, die sich auf die wirtschaftlich Potenten beschränkt, den schon gegenwärtig massiven Nord-Süd Konflikt in der Klimafrage eher anheizen. Mit den Least Developed Countries werden gerade die Akteure ausgeklammert und somit ausgegrenzt, welche die Herstellung von Klimagerechtigkeit und die Begleichung der akkumulierten Klimaschulden einfordern.
Zur Weiterführung von Weltklimakonferenzen in ihrer jetzigen Form zeichnet sich keine Alternative ab, die realitätstüchtig oder die mittelfristig realisierbar scheint. Daher geht es vor allem darum, weltweit den gesellschaftlichen Druck im Vorfeld der nächsten Konferenz in Mexiko und auf dieser zu verstärken. Hilfreich dazu könnte die Installierung eines globalen Rats der „Klimaweisen“ durch den UNO-Generalsekretär sein. Dieses Gremium hätte die Aufgabe, über die naturwissenschaftlichen Einschätzungen des „International Panel of Climate Change“(IPCC) hinaus ein zusammenhängendes Konzept für einen weltweiten Klimavertrag vorzulegen, noch vor der COP-16 zur Diskussion zu stellen und in Mexiko Ende 2010 als offizielle Vorlage des UNO-Generalsekretariats einzubringen. Zu orientieren wäre so ein Konzept an der Zielsetzung, den Klimawandel so weit einzudämmen, dass die 2 Grad-Celsius Marke nach dem Stand klimawissenschaftlicher Erkenntnis mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten wird . In das Gremium sollten einerseits Experten aus dem IPCC, andererseits weltweit anerkannte Wirtschafts- und SozialwissenschaftlerInnen berufen werden, die sich mit Fragen des Klimawandels genauer auseinandergesetzt haben. Eine dritte zentrale Gruppe wären in Fragen der Ethik und der Sozialphilosophie Ausgewiesene, denen zugetraut werden kann, dass sie die Probleme der Klimagerechtigkeit buchstabieren und reflektieren.
Klimaweise, eingesetzt von der UNO-Spitze, ersetzen natürlich nicht den Einigungszwang der Staatenkonferenz. Die Vorlage eines schlüssigen Konzepts, das orientiert am Stand wissenschaftlicher Forschung Maßnahmen zum Klimaschutz mit Geboten ebenfalls globaler Klimagerechtigkeit verbindet, hätte aber nicht nur eine hohe moralische Ausstrahlkraft; es könnte vor allem bewirken, dass die Karten im internationalen Verhandlungspoker anders verteilt sind. Die Kopenhagener Konferenz ist unter anderem gescheitert, weil der lockere Verbund der G 77 trotz erkennbarer Interessengegensätze erhalten blieb. Arme Länder, die um wirtschaftliches Überleben und gegen fortschreitende soziale Verelendung zu kämpfen haben, fanden sich vertreten von Ländern mit starken wirtschaftlichen Wachstumschancen und –Ansprüchen. Stabilisiert wurde diese eher brüchige Koalition auch durch mangelndes Entgegenkommen und fehlende Sensibilität der Verhandler aus altindustriellen Ländern. So beging die EU, ohnehin aufgesplittert in nationale Profilsucher/innen, den Fehler, ihr konditioniertes Angebot -„30%-CO2-Reduktion bis 2020, wenn andere Industriestaaten mitziehen“ – nicht zur bedingungslose Offerte – „30% in jedem Fall“ – zu steigern. Das hätte ohne Zweifel Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen gebracht.
Ein erwartungsgemäß anspruchsvolles Konzept eines UNO-Rats der Klimaweisen käme den ureigenen Interessen der wenig entwickelten Länder entgegen, die den Klimawandel weit schneller stoppen müssen und die immer dringender Hilfe für unabweisliche Maßnahmen der Klimaanpassung benötigen. Staaten, die eine Politik des Wachstums um (fast) jeden Preis betreiben, verlieren so Bündnispartner, die sie bisher noch unter armen Ländern finden. Und altindustrielle Länder, die weiter auf Wachstums- und Besitzstandswahrung setzen, kommen stärker unter Zugzwang als in der jetzigen diffusen Verhandlungssituation.
Marschroute zur Null-Emission
In der Tat ist die internationale Diskussion, wie sie interdisziplinär in vielen Fachkreisen und vor allem weltweit in NGOs geführt wird, so weit entwickelt, dass Grundzüge eines schlüssigen Weltklimavertrags bereits vorliegen. Ich erläutere das in Anlehnung am „Budgetansatz“, den der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen der Bundesregierung (WBGU) im Sommer in die Debatte eingebracht hat . Allerdings beschränkt sich dieser Ansatz auf eine Regulierung der CO2-Emissionen und klammert andere Problemfelder wie die Wald- und Landbewirtschaftung weitgehend aus.
Der Ansatz folgt dem jetzigen Stand der Klimaforschung, nach dem das 2-Grad Ziel im Jahr 2050 mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 2/3 nur erreicht werden kann, wenn die global ab 2010 über den natürlichen Kohlenstoffkreislauf hinaus erzeugte Menge an CO2 auf insgesamt 750 Mrd. t begrenzt bleibt. Damit muss ab 2050 ein weltweiter Zustand der weitgehenden Nullemission weltweit erreicht sein. Nun sind klimawissenschaftliche Abschätzungen, zumal Prognosen über Zeiträume von Jahrzehnten, immer mit großen Unsicherheitsfaktoren behaftet. Andererseits werden seit Jahren Szenarien des Klimawandels ständig von Annahmen abgelöst, die zu größerem Pessimismus Anlass geben. So ist der zuletzt beschlossene IPCC-Report von Februar 2007 inzwischen von neueren Ergebnissen überholt, die deutlich alarmierender sind.
Man muss sich bei Aktivitäten zur Vermeidung von Katastrophen stärker an den ungünstigen als an den günstigen Prognosen orientieren. Nur dann ist präventives Handeln in Krisensituationen verantwortungsethisch rational. Es ist auch dann gut, „zu viel“ zur Eindämmung von Klimawandel getan zu haben, wenn dieser im Ergebnis weniger gravierend ausfällt als anfänglich befürchtet wurde. Es wäre hingegen fatal, wenn „zu wenig“ unternommen wurde, weil man auf zu günstige Prognosen gesetzt hat. Selbst die Empfehlung des WBGU, unter einer (unsicheren) Wahrscheinlichkeit von 2/3 die 2-Grad Marke nicht zu überschreiten, gleicht einem „russischen-Roulette-Spiel“, in dem man sich eine dreischüssige Pistole mit „nur“ einer scharfen Patrone an die Schläfe setzt .
Zu Optimismus im makabren Klima-Spiel gibt es jedoch wenig Anlass. Mit Ausnahme des rezessionsbedingten Einbruchs 2009 stieg die Menge des überschüssigen globalen C02 kontinuierlich an, von 1990 bis 2007 um etwa 40%. Würde in den kommenden Jahren lediglich der weitere Zuwachs gestoppt, sind die zulässigen Emissionsmengen bereits 2030-2035 „aufgebraucht“. Eine verantwortlich dem zwei-Grad Ziel folgende Weltgemeinschaft müsste ab dieser Zeitmarke abrupt mit Nullemissionen weiter wirtschaften. Würden weltweit vereinbarte Reduktionsanstrengungen im Jahr 2011 einsetzen, muss, bei einer jährlichen Minderung um 3,7%, der CO2-Ausstoß bis 2050 um etwa 85% verringert sein. Wenn verbindliche Reduktionsstrategien bis zum Jahr 2020 verschoben werden, ist eine jährliche Minderungsrate von 9% bei zu erreichender Nullemission im Jahr 2040 erforderlich.
Auch der Budget-Ansatz geht – ethisch gut begründbar – davon aus, dass keinem lebenden Menschen das Anrecht zugebilligt werden darf, mehr als Andere zur Belastung der Erdatmosphäre beizusteuern – das Prinzip gleicher Emissions“rechte“ pro Kopf. Damit lassen sich auch die länderspezifisch noch zulässigen Emissionsmengen leicht berechnen. Für Deutschland etwa summieren sie sich zu rund 8 Mrd. t CO2 und wären, wenn sich nichts ändert, in spätestens 10 Jahren „aufgebraucht“. Allerdings ist diese für die Industrieländer noch günstige Rechenmethode nur pragmatisch zu rechtfertigen, aus streng ethischer Sicht Sinn jedoch nicht schlüssig: Ausgeklammert bleiben alle, weltweit stark ungleichen, Treibhausgas-Emissionen vor dem Jahr 2010. Ausgeklammert bleibt ebenso, dass sich die generierten Emissionen auch innerhalb der einzelnen Länder individuell und klassenspezifisch ungleich verteilen.
Da sich die intensiv C02 freisetzenden und wirtschaftlich avancierten Länder nicht binnen weniger Jahre in Nullemittenten verwandeln können, wird es eine Rechte-Übertragung in die wirtschaftlich armen, zumeist aber von Klimawandel stärker heimgesuchten Regionen geben müssen. Damit übersetzt sich das Gebot der Herstellung von Klimagerechtigkeit in eine auch monetäre Verpflichtung. Es sei hier dahingestellt, ob das in Gestalt eines weltweiten Handels mit Emissionslizenzen geschieht; eines Handels der zugleich erzwingt, dass bei gleichen Emissions“rechten“ pro Kopf die Menge der handelbaren Lizenzen schrittweise und unerbittlich reduziert wird – bis zur Selbstaufhebung des Kohlenstoff-Markts im erreichten Zustand der Nullemission . Ob Steuern auf Treibhausgasemissionen erhoben werden, deren Erträge überwiegend zum Nord-Südtransfer eingesetzt werden. Oder ob in anderer Form verbindliche und ausreichende Aktivitäten und Zahlungen zur Klimaanpassung und zur solaren Energiewende in wenig emittierenden Länder erfolgen.
Weniger anspruchsvoll als skizziert, ist eine noch eben vertretbare Eindämmung des Klimawandels nicht zu haben. Mit Wind, Wetter und ihren Folgen kann nun einmal nicht verhandelt werden. Wenn die Erarbeitung eines schlüssigen klimapolitischen Konzepts an eine ernsthaft und ohne Selbsttäuschung arbeitende ExpertInnengruppe übertragen wird, dürfte die Meßlatte für einen Welt-Klima-Vertrag so hoch liegen, wie am Budgetansatz des WBGU dargestellt ist. Ein „Weltrat der Klimaweisen“ käme unweigerlich zu Ergebnissen, die um Horizonte von dem entfernt sind, was hoch emittierende Staaten gegenwärtig zuzugestehen gewillt sind.
Ist darum der Gedanke realitätsfern, einen Rat der Klimaweisen mit der Erarbeitung einer Vertragsvorlage zu beauftragen? Schließlich kann er die Beschlussfassung durch eine Weltkonferenz nicht ersetzen. Und diese hat bisher nur einen Kopenhagen-Akkord vorzuweisen. Gleichwohl hat der Vorschlag zwei Vorteile: Zum einen lässt er ein in sich schlüssiges Konzept erwarten, welches die Staatengemeinschaft mit Handlungsgeboten konfrontiert, die unvermeidlich sind, wenn die Kultur und Zivilisation, wie wir sie kennen, noch eine Zukunft haben soll. Klarheit und Schlüssigkeit einer klimapolitischen Weltstrategie überzeugen immer mehr als Textungetüme, wie sie die Weltklimakonferenz auf den letzten Treffen in Bali und Poznan sowie im Vorfeld von Kopenhagen zuwege gebracht hat.
Zum zweiten kann ein Vertrags-Vorschlag, der unter Beachtung von Kriterien der Gerechtigkeit den Klimawandel glaubwürdig in Grenzen zu halten sucht, mit der Unterstützung aus allen Staaten, insbesondere dort in der betroffenen Bevölkerung, rechnen, die wenig oder nicht zum Klimawandel beisteuern, jedoch unter seinen Folgen zu leiden haben. Das ist perspektivenreicher als der umgekehrte Weg einer klimapolitischen Strategie von „ganz oben“, die auf ein Arrangement nur unter den Hauptemittenten setzt. Wenn klimapolitische Einsicht der Regierungen insbesondere der wirtschaftlich potenten Länder nicht zu erwarten ist, muss um so mehr auf eine Mobilisierung der Leidtragenden des Klimawandels gesetzt werden. „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“, hieß das vor 150 Jahren. Im 21. Jahrhunderts gewinnt die Parole einen neuen Sinn – auch wenn die Zeit für einen notwendigen gesellschaftlichen Umbruch weit knapper bemessen ist als zur Blütezeit der fossil geprägten Industrialisierung.