DER LANGE SCHATTEN DES PROMETHEUS – ÜBER UNSEREN UMGANG MIT ENERGIE

von Hartwig Berger
oekom verlag, München 2009

Kurzdarstellung und Inhaltsverzeichnis

Buchtitel: Der lange Schatten des Prometheus. Über unseren Umgang mit Energie1. Ausgangsproblem und Leitfragen

Dem Buch geht die Einschätzung voraus, dass sich die Menschheit möglichst zügig von der Nutzung fossil gespeicherter Energieträger verabschieden muss – und das auch kann. Die dramatischen Veränderungen des Weltklimas machen das unabweislich. Ebenfalls wird vorausgesetzt, dass der schnelle Abschied von der fossil geprägten Industrialisierung technisch möglich und wirtschaftlich sogar vorteilhaft ist. Eine konsequente Energie- und Solarwende kostet weit weniger, als mit Ausweichmanövern und nur halbherzigen Schritten den Klimawandel völlig aus dem Ruder laufen zu lassen.

Warum zeichnet sich ein weltweiter energetischer Kurswechsel gleichwohl nicht ab? Die Voraussage eines gefährlichen Klimawandels ist seit über 20 Jahren anerkannter Stand wissenschaftlicher Erkenntnis – dennoch sind in derselben Zeit die Treibhausgas-Emissionen so stark angestiegen wie selten zuvor, mit steigender Tendenz bis zum weltwirtschaftlichen Einbruch ab Ende 2008. Die globalen CO2-Emissionen nahmen von 1995 bis 2000 „nur“ um 8% zu, von 2000-2005 bereits um 15,8%. Und das geht keineswegs nur auf Rechnung der Schwellenländer: Der CO2-Ausstoß der USA erhöhte sich von 1990 bis 2004 um 16%, von Kanada und Australien um 25% bzw. 26%, von Spanien sogar um 53%.

Warum ist die fossile Gesellschaft von so bemerkenswerter und auf mittlere Sicht selbstdestruktiven Stabilität? Das ist eine Leitfrage des Buchs. Zugleich gehe ich der Frage nach, wie ein Wandel der Gesellschaft in eine Richtung vorstellbar ist, die man als „suffizientes“ Wirtschaften und Leben bezeichnet. Also für unser Thema: hin zu einem maßvollen, selbstgenügsamen Umgang mit Energie. Ich konzentriere mich dabei auf soziologische, philosophische und energiepolitische Teilanalysen, die in acht Kapitel gegliedert sind.

2. Knappe Inhaltsübersicht

Kapitel 1 fragt, welche Art der internationalen Regelung zur Eindämmung der Klimagase eine Chance hat, weltweit als „gerecht“ anerkannt zu werden und entwickelt zu diesem Zweck einen Ansatz von Emissionshandel, der zugleich geeignet erscheint, die Bekämpfung der Klimafolgen in den hauptsächlich betroffenen Ländern (mit) zu finanzieren.

Kapitel 2 kritisiert am Beispiel der Internationalen Energieagentur Zukunftskonzepte, die ein weiterhin hohes und weiter steigendes Niveau der Energienutzung unterstellen. Es wird gezeigt, dass eine umfassende Solarwende nur gelingt, wenn zugleich die Wende hin zu einem suffizienten Energiegebrauch gestärkt wird.

Kapitel 3 untersucht übermäßige Energienutzung in der Autowerbung und in der Stadtarchitektur sowie Zusammenhänge von Energie und Machtstreben.

Kapitel 4 arbeitet soziale Grundmuster aus, die Arten der Energiegewinnung in der Geschichte geprägt haben. Die Nutzung von Feuer, Mühlenkraft, die Ersetzung von Körperkraft durch Maschinen und urbane Energieversorgung sind hier Bezugspunkte, wobei sich eine zunehmende Entkoppelung der Energiegewinnung von Alltagserfahrungen herausstellt.

Kapitel 5 analysiert die Sackgasse verbrennungstechnischer Energiegewinnung am Beispiel der Mobilität. Nachteile und negative Folgen eines Umstiegs auf Biokraftstoffe werden dargestellt und argumentiert, dass die Gleichstellung von Bioenergien mit Erneuerbaren Energien insgesamt nicht zulässig ist. Somit hat motorisierte Mobilität nur bei deutlicher Reduzierung in den entwickelten Weltregionen und ohne weiteren Anstieg weiträumiger Transportsysteme überhaupt eine Zukunft.

Kapitel 6 diskutiert Konzepte zur Analyse von Energieverhalten und entwickelt Gründe, sich hierbei statt am heute verbreiteten „Lebensstil-Ansatz“ an klassen- bzw. schichtspezifischen Lebenslagen zu orientieren. Erfolgsbedingungen von Kampagnen zum sparsamen Umgang mit Energie werden untersucht.

Wie aber kann sich ein grundlegender kultureller Wandel hin zu suffizienter Energienutzung vollziehen? Dem geht Kapitel 7 nach, indem eine aktuelle sozialphilosophische Debatte zum Begriff der „Entfremdung“ aufgegriffen und mit Überlegungen zum Verhältnis von äußerer Energiezufuhr und intrinsisch geweckter Lebensenergie verbunden wird.

Kapitel 8 wendet sich einem zentralen Konzept weltweiter Solarwende zu: Der Forderung nach Energieautonomie, bei impliziter Abkehr von energetischer Fernversorgung. Wie in Kapitel 1 anknüpfend an ethisch-philosophische Ansätze, wird Energieautonomie als regulative Idee dargestellt, die weiträumige Energienetze nicht prinzipiell ausschließt. Gleichwohl weist sie in eine Form der Weltwirtschaft voraus, die weiträumige Warenströme schrittweise reduziert und durch die globale Vernetzung von Wissen mittels digitaler Systeme ersetzt. Allerdings zwingt die kurze Zeit die aufgrund der Geschwindigkeit des Klimawandels bleibt, zumindest als Übergangslösung auch zentralisierte Energieversorgungssysteme aufzubauen.

3. Der Prometheus-Mythos

Der Titel spricht die Problemlage bildhaft an. Dass die Menschen einst lernten, das Feuer zu bändigen und zu nutzen, war ein zivilisatorischer Sprung, der sie endgültig von anderen hominiden Arten absetzte. Nicht von ungefähr bringt daher der antike Prometheus-Mythos die Menschwerdung in einen Zusammenhang mit dem Erwerb dieser grundlegenden technischen Fertigkeit. Im Mythos ist sie nun zugleich Ursprung einer massiven Verschlechterung der menschlichen Lebensumstände dar, durchaus analog zur Vertreibung aus dem Paradies, wie ihn die jüdische/alttestamentarische Genesis schildert. Doch nicht die Feuernutzung wird als Ursache der Verschlechterung benannt, sondern die Herausforderung des bisherigen göttlichen Monopols, gewalttätige, ungebändigte Feuerbrünste durch Blitzeinschlag zu erzeugen. Diese Herausforderung veranlasst in der mythischen Erzählung den olympischen Gott Zeus, Krankheit, Tod und prekäre Lebensumstände in der Menschenwelt zu verbreiten.

Als weitere göttliche Strafe wird der Feuerbringer an einen Felsen geschmiedet. Die industrielle Moderne verkehrte diese Geschichte zu einem besonderen „happy end“: Durch Nutzung fossiler Energieträger, mit Techniken wie der Dampfmaschine und vor allem durch Elektrizitätserzeugung sprengt der Umgang mit Feuer seine bisherigen Beschränkungen. Der nun als „Entfesselter“ gefeierte Prometheus eröffnet bis dahin ungeahnte technische und wirtschaftliche Entwicklungen . Gegenwärtig vollzieht sich nun eine Wahrnehmungsverschiebung um 1800: Eben weil die Feuernutzung durch Rückgriff auf fossile Ressourcen vervielfacht werden konnte, kann sie vom mythischen zum realen historischen Verhängnis werden. Die Lebensbedingungen (nicht nur) der menschlichen Gesellschaften werden sich mit diesen Energieträgern absehbar entscheidend verschlechtern. Zentrale Aufgabe der Gegenwart ist somit, aus dem Schatten der Prometheus endlich herauszutreten.

4. Energie im sozialen Umgang

Um besser zu verstehen, warum der Hang zu Energieverschwendung so groß und die Nutzung fossiler Energieträger so verfestigt ist, hilft es, den Umgang mit Energie als ein soziales Handeln zu sehen, das durch Normen, Gewohnheiten und die Interaktion mit anderen geleitet ist. Deutlich wird das etwa in der Kultur des Autofahrens und am verbreiteten Hang, schnelle und antriebsstarke und repräsentative Fahrzeuge zu besitzen und zu nutzen. Außen- und Selbstdarstellung der Eigentümer und Nutzer werden wichtiger als der instrumentelle Nutzen, den ein Fahrzeugs zur zügigen Fortbewegung bietet. Recht gut illustriert das die Produkt-Werbung. Auch generell lässt sich das Verfügen über (Fremd-)Energie mit der Ausübung und Bekundung gesellschaftlicher Macht zusammendenken. Mechanischer und maschineller Einsatz von Energie war im großen Stil erst mit dem Einsatz fossiler Energieträger möglich. Damit konnte die Verfügung über menschliche Körperkraft, die für Herrschaft in nicht industrialisierten Gesellschaften kennzeichnend ist, immer mehr durch ein Verfügen per Energieeinsatz ergänzt und teilweise abgelöst werden.

Zugleich verändert sich das Verhältnis von Energie und menschlicher Arbeit, wie überhaupt der Begriff „Energie“ im zeitlichen Zusammenfall mit der Industrialisierung neu definiert wird. Seit dem 19. Jahrhundert verstehen wir unter der „Energie“ eines Systems seine Fähigkeit bzw. sein Potential, Arbeit zu verrichten. Das Modell des Antriebsmotors steht Pate für die Veranschaulichung des theoretischen Begriffs der Physik. Mit der Ausweitung energetisch angetriebener Produktion wird nun zugleich die abhängige (zumeist Lohn-)Arbeit entwertet, sei es durch die Substitution menschlicher Arbeit mittels technischer Prozesse, durch erhöhte Ausbeutung der nun produktiveren Arbeitsleistung, durch eine Entwertung qualifizierter handwerklicher Fertigkeiten oder durch Zerlegung der Tätigkeit in repetitive Teilarbeiten. Solche Prozesse fördern den Prestigeverfall körperlicher, teilweise auch geistiger Arbeit zugunsten von technisch angeleitetem Energieeinsatz. Die Ersetzung von Arbeit durch Energie, damit die Steigerung von Energieeinsatz, wird dagegen grundsätzlich positiv gewertet.

Die Nutzung fossiler Energieträger ermöglicht, ähnlich wie die Einführung der leitungsgebundenen Wasserver- und –entsorgung, die Bildung urbaner Großräume. Die Lebensfähigkeit moderner Groß- und Megastädte wird abhängig vom Einsatz dieser Ressourcen über leitungsgebundene Fernversorgung. Die Energiegewinnung verschwindet aus dem Alltagsleben und wird auch aufgrund ihrer Komplexität immer intransparenter für das Alltagsbewusstsein. Es wird zum Habitus (nicht nur) der urbanen Alltagskultur, von Energieleistungen bedient zu werden, deren Herkunft nicht mehr bekannt ist und nach der auch nicht gefragt zu werden braucht. Teilweise findet sich diese Haltung auch in der Stadtarchitektur – wenn etwa Gebäuden errichtet werden, die weit mehr Zufuhr an Energie benötigen als bei einem intelligenten Umgang mit dieser Ressource erforderlich ist.

5. Wege zu einem anderen Umgang mit Energie

Wie können verfestigte Orientierungen an fossilen Energieträgern und an exzessiver Energienutzung gebrochen werden – noch dazu in der kurzen Zeitspanne, die uns der fortschreitende Klimawandel (noch) gewährt? Auch zu dieser Frage beschränkt sich das Buch auf Teilanalysen, etwa zum Thema „Klimagerechtigkeit“. Welche Grundzüge müssen internationale Klimavereinbarungen haben, um als weltweit „gerechte“ Lösung gelten zu können? Warum soll ein Land/ eine Gemeinde/eine Person sich überhaupt für den Klimaschutz engagieren, solange es die begründete Annahme gibt, dass sich andere Länder nicht- oder deutlich weniger – engagieren? Eine ethische Lösung dieses Dilemmas, wie sie etwa der kategorische Imperativ Kants formuliert, schafft keine Handlungsmotivation. Hinzu kommt die krasse globale Asymmetrie in den Wirkungen globaler Klimaveränderungen. Betroffen sind vor allem Gesellschaften und Regionen, die durch hohe Armut und ohnehin prekäre Lebensumstände gekennzeichnet sind, die aber wenig bis überhaupt nicht zum Klimawandel beitragen. Umgekehrt halten sich in den Ländern gemäßigter Breiten, die vor allem für die Generierung von Treibhausgasen verantwortlich sind, die Folgen eher in Grenzen.

Dennoch muss eine weltweite Klimaschutz-Vereinbarung, um von den Opfer-Ländern überhaupt akzeptiert zu werden, zugleich eine Antwort darauf geben können, wie dieses krasse Gerechtigkeitsdefizit abgebaut werden kann. Ein weltweiter Emissionshandel, der über die zu ersteigernden Zertifikate die Generierung von Emissionen monetär belastet, um über diese Erträge Klimaanpassung, Katastrophenbekämpfung und Energiewende in den Megastädten und ländlichen Zonen der Opferregionen zu finanzieren, wird als möglicher Weg dargestellt. Dabei sorgt die mit den Jahren schrittweise Schrumpfung der Emissionsmärkte dafür, dass die provisorisch zugestandene fossile Energienutzung in ein vollständig solares Zeitalter münden kann.

Die Frage danach, wie ein Wandel der Lebensführung hin zu einem „suffizienten“, maßvollen Umgang mit Energie vorstellbar ist, wird ausgehend von einer philosophischen Analyse zum Entfremdungsbegriff behandelt. Es wird der Hypothese nachgegangen, dass Opulenz im Umgang mit Energie ein Kennzeichen entfremdeter Lebensführung ist. Dass damit keineswegs ein Wandel des entsprechenden Sozialverhaltens anzunehmen ist, erörtern Exkurse zu Erfolgschancen von Energiekampagnen und eine Fallstudie im ländlichen Milieu.

Eine weitere Analyse gilt der Debatte, ob das Konzept der Energieautonomie ein geeigneter Ansatz für eine Solarwende ist, die konsequent auf die Nutzung erneuerbarer Ressourcen setzt. Sollten – wie etwa Hermann Scheer propagiert – solare Energiesysteme primär oder gar ausschließlich auf Eigenversorgung setzen? Oder sollte vor allem ein schneller Aufbau weiträumiger Strukturen betrieben werden, wie das der Club of Rome oder Al Gore für erforderlich halten?

Differenziert man den Ansatz der„Energieautonomie“ unter Rückgriff auf Kants Ethik, zeigt sich, dass er mit einer zukunftsfähigen Vernetzung der Weltwirtschaft durchaus vereinbar ist. Nach dieser Idee von Globalisierung würden nicht mehr Riesentanker, Containerschiffe und Transportflugzeuge über den Erdball geschickt; regionale Wirtschaftskreisläufe würden vor allem durch eine globale Vernetzung von Wissen und von technischen Fertigkeiten stimuliert und weiter entwickelt.

6. Inhaltsverzeichnis

Einleitung und Übersicht

1. Gerechtigkeit im Klimawandel
1.1 Was ist „gerecht“ im Klimaschutz?
1.2 Täter und Opfer
1.3 Handel für ausgleichende Gerechtigkeit
1.4 Akteure des Emissionshandels
1.5 Den Tiger reiten?
1.6 Recht und Moral im Klimaschutz

2. Energiehunger und Solarwende

3. Energie in sozialen Zusammenhängen
3.1 Gewöhnliche Energieverschwendung
3.2 Automobiler Zeitgeist
3.3 Urbanität und Energie
3.4 Energie und Herrschaft

4. Energienutzung und Gesellschaftswandel
4.1 Feuernutzung einst und jetzt
4.2 Energie und abhängige Arbeit
4.3 Die Kraft der Mühlen
4.4 Energie aus der Ver-Steckdose
4.5 Stolperstein Windkraft
4.6 Im Bann der Kohle

5. Verhängnis Verbrennungsmotor
5.1 Verbrennungstechnik und Elektrotechnik
5.2 Regenerierbarkeit und Fläche
5.3 Bauern gegen Biokraft
5.4 Ernährungskrise
5.5 Grenzen der Mobilität

6. Wandel im Energieverhalten
6.1 Lebensstile und Klassenlage
6.2 Von der Holzkohle zur Klimaanlage
6.3 Energiesparkampagnen
6.4 Sparen mit Energieexperten

7. Maßvolles Energiehandeln
7.1 Suffizienz und Sozialwandel
7.2 Askese und Kapital
7.3 Entfremdung neu betrachtet

8. Energieautonomie
8.1 Dezentralisierung und die Globalisierung des Wissens
8.2 Autonomie als regulative Idee
8.3 Präventive Dezentralisierung
8.4 Energiewende unter Zeitzwang

9. Der Rat des Prometheus

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