1. Die Grenzen einer Weltklimakonferenz der Staaten
Um einen weltweit wirksamen Klimaschutz zu beschließen, geschweige: durchzusetzen, ist die Weltklimakonferenz allein ungeeignet, und das aus strukturellen Gründen: Die Handlungsnormen von Staatsregierungen orientieren sich vorrangig nicht an einer universalistischen, sondern an einer partikularistischen Moral . Im günstigsten Fall, selbst in den wenigen Demokratien keinesfalls die Regel – richten sie sich nach den mehrheitlich artikulierten Interessen der Staatsangehörigen. Und auch diese sind nicht deckungsgleich mit Klimaschutz. Ein bedrückendes Beispiel lässt sich am beginnenden Wahlkampf in einem mächtigen Bundesstaat studieren, das wahrlich nicht unwichtig ist, wenn man im Weltklimaschutz vorankommen will.
Regierungen, die eine in globaler Hinsicht notwendige Vereinbarung treffen, müssen über den Schatten ihrer partikularistisch geprägten Handlungslogik springen. Natürlich finden sich für diesen „Schattensprung“ vielfach starke Gründe, weil die ungebremste Fortsetzung des Klimawandels, wenngleich in unterschiedlicher Weise, auch die Einzelstaaten gefährdet. Allerdings ist auch hier, teilweise contrary-to-fact, vorauszusetzen, dass den Staatsführungen die Zukunft ihres Landes und seiner Bevölkerung überhaupt ein zentrales Anliegen ist.
Umgekehrt werden Staaten, denen aufgrund des Klimawandels „das Wasser bis zum Hals steht“, agieren. In diesem Fall, etwa dem der flachen Inselstaaten, sind partikularistische und universalistische Moral wahrscheinlich deckungsgleich. Jedoch ist das gegenwärtig wie absehbar eine Ausnahme. Und das reicht nicht als moralischer Impuls, um eine weltweit getragene Klimaschutzvereinbarung durchzusetzen.
Selbst wenn wir – contrary-to-fact – der Mehrheit der Staatsvertreter ein ernsthaftes Bemühen um eine Klimaschutzvereinbarung nach universalistischen Kriterien unterstellen, ist der Schritt zur Einigung durch die Wirksamkeit der ja nicht ausgeschalteten Einzelinteressen erschwert. Das spieltheoretische Gefangenendilemma bringt das auf den Punkt: Wenn Staat A viel an Klimaschutz konzediert, erspart er bei gleichem Gesamtziel anderen Staaten B, C … einen Teil ihrer Bemühungen. Geht er, was wahrscheinlicher ist, darum mit eher minimalen Selbstansprüchen in das Rennen, ermutigt das nur die anderen Akteure, ebenfalls minimalistisch zu verfahren oder schlicht abzuwarten. Die partikularistische Orientierung an der je eigenen Vorteilssuche blockiert also selbst im Idealfall den ernsthaften Willen, universalistischen Erwägungen und einem globalen Klimaschutz Vorrang einzuräumen.
An (fast) 20 Jahren beinahe-Stagnation in den Klimaverhandlungen könnte die These vom strukturellen Versagen der Staatsführungen in der Herstellung einer sowohl ausreichenden wie rechtsverbindlichen und wirksamen globalen Vereinbarung auf traurige Weise illustriert werden. Ich erspare mir die Illustration, um mich auf Überlegungen zu evtl. möglichen Auswegen aus der Sackgasse zu konzentrieren:
Zunächst: Ich relativiere nicht die Verantwortung und den Auftrag der COP, der Klimakonferenz der Staaten, als den zentralen Entscheidungsträger, sondern wende mich gegen ihren Ausschließlichkeitsanspruch. Schon weil es derzeit und absehbar keine andere Instanz der Beschlussfassung, geschweige der Durchsetzung der Beschlüsse zum Weltklimaschutz gibt, kann und darf die COP in nichts aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Es handelt sich hier um den klassischen Fall einer Aporie: Die COP trägt die Verantwortungslast für eine Frage, die für die Zukunft (nicht nur) der Menschheit entscheidend ist – und sie kann die daraus erwachsenen Pflicht aufgrund ihrer selbstlähmenden Struktur bisher nicht – und wohl auch absehbar nicht – realisieren.
Was tun? Ich schlage vor, die COP einmal versuchsweise als „zweite Kammer“ des Weltklimaschutzes zu begreifen. Ich wähle bewusst den Verfassungsjargon: Ähnlich wie in einem Bundesstaat, haben die Regierungen der Einzelstaaten ( in Deutschland der „Länder“) die Verantwortung, in die Aushandlung der globalen (hier der für den Bundesstaat geltenden) Lösung die einzelstaatlichen Belange einzubringen, nicht mit dem Ziel wechselseitiger Blockade allerdings, sondern der Aufgabe einer gegenseitigen Vermittlung. Die Entscheidungsfindung zum Weltklimaschutz bräuchte nach dieser Analogie eine Art Doppelstruktur: Im Prozess der Vermittlung einer Gesamtlösung mit den einzelstaatlichen Belangen muss eine weitere Instanz mit agieren, mitentscheidend oder zumindest moderierend. Und es ist vorrangige Aufgabe dieser Instanz, der „ersten Kammer“ gleichsam, de erste Vorgabe einer Gesamtlösung zu konzipieren und einzubringen. Nicht der Lösung, doch einer in dieser ersten Instanz zunächst verbindlichen Lösung, die in die COP, die Aushandlung durch die Einzelstaaten, anschließend der Beratung und Beschlussfassung bedarf. Einer Beschlussfassung allerdings, mit der am Ende beide „Kammern“ leben können bzw. müssen.
Hier endet allerdings jegliche Analogie mit einem Bundesstaat, denn die UNO hat diesen Status ersichtlich nicht. Die Idee eines Weltstaat in einem lockeren föderativen Verbund ist eine ferne Utopie. Eine Art „erster Kammer“ auf Weltniveau existiert nicht heute und auch nicht morgen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen vertritt wiederum nur Staaten, also denselben Kreis wie die COP und ihre Beschlüsse haben keine oder nur geringe Bindewirkung. Die zweite Kammer wäre hier identisch mit der ersten.
2. Ein Gremium der Weltbürger?
Doch hilft die Kammer-Analogie in einer Hinsicht weiter: Wenn ein, noch zu findendes, Gremium mitentscheidende oder doch Entscheidungen vorbereitende Kompetenzen im Weltklimaschutz haben soll, müsste sie in jedem Fall nicht Staaten vertreten, sondern die Menschheit jenseits staatlicher oder sonstiger gruppenspezifischer Zugehörigkeiten und Loyalitäten. Anders formuliert: Sie vertritt die Menschen in ihrer Eigenschaft als Weltbürger, als Kinder dieser Erde. Beim Weltklimaschutz sind wir nicht primär mit unseren jeweils partikularen Interessen herausgefordert, sondern zunächst und vor allem in unserer Verantwortung für das Leben und die Zukunft (nicht nur) der Menschheit auf diesem verwundbaren Planeten. Weltklimapolitik zwingt, sofern ernst genommen, zum Standpunkt einer universalistischen Moral. Das ist so wie in der Frage der Wahrung und Sicherung von Menschenrechten. Auch hier sind wir als Weltbürger gefordert, unabhängig und jenseits von staatsbürgerlicher Loyalität.
Ich knüpfe hier an Überlegungen von Jürgen Habermas, im Anschluss an Kants Schrift „zum ewigen Frieden“ an, die Habermas allerdings vorwiegend auf die Verfassung der Europäischen Union bezieht Subjekte der Verfassung und der Politikgestaltung sind in der EU zum einen die Mitgliedstaaten, zum anderen die Unionsbürger. Wir sind in der EU zugleich als Staatsbürger wie als Unionsbürger gefragt. Die Vernachlässigung der Einflussgröße „Unionsbürger“ führt, wie gegenwärtig an den vom Europäischen Rat monopolisierten Entscheidungsprozessen in dramatischer weise nachvollziehbar, zur weiteren Entdemokratisierung, die Habermas als „Exekutivföderalismus“ anprangert. Die EU lebt in einer geteilten Souveränität von Unionsbürgern und Staaten (die durch dieselben Subjekte, dann als Bürger von Einzelstaaten, durch Wahlen legitimiert sind). Es bedarf daher eines Gleichgewichts der Kompetenzen zwischen Europäischem Rat und Europaparlament.
Ich folge Habermas in der Einschätzung, dass die Konstruktion der doppelten Souveränität Impulse für eine politisch verfasste Weltgesellschaft geben kann. Die UNO ist bisher nur eine lockere Gemeinschaft von Staaten, sie wäre als Gemeinschaft von Staaten und Bürgern neu zu organisieren. Bei der Klärung von nicht mehr nationalstaatlich zu regelnden Fragen der globalen Ökologie und des Klimaschutzes reicht die herkömmliche zwischenstaatliche Aushandlung von Vereinbarungen nicht aus. Zu regeln ist nicht ein Problem der Außenpolitik sondern der Weltinnenpolitik. Neben der UN-Vollversammlung der Staaten und ihrer nur beschränkt handlungsfähigen Exekutiv-Organe braucht es also auch eine Generalversammlung, die uns als Weltbürger repräsentiert, jenseits von einzelstaatlichen Zugehörigkeiten und Loyalitäten. Sie wäre die gleichsam erste Kammer einer Weltklimapolitik . Deren Aktivität sollte allerdings nicht in Analogie zu einem innerstaatlichen Parlaments gedacht werden, sondern sich auf „Materien rechtlicher und grundsätzlich moralischer Natur“ (S.92) beschränken. Die lebenswichtige Aufgabe einer Eindämmung des Klimawandels gehört zu diesen „Materien“.
Wer und wie kann sich eine legitimierte Vertretung der Weltbürger bilden? An diesem Punkt scheint das Projekt an der ungefälligen Realität zu scheitern. Allein der Prozess der Einrichtung einer weltbürgerlich legitimierten Vertretung erscheint in absehbaren Zeiträumen kaum machbar. Und selbst im Zeitalter der globalen informationstechnischen Vernetzung ist die Idee einer weltbürgerlichen Öffentlichkeit ferne Utopie. Es ist auch schwer vorstellbar, dass die Einzelstaaten ihren Souveränitätsanspruch in klimapolitischen Entscheidungen begrenzen. Und zuletzt: Im Weltklimaschutz können wir uns gerade aus weltbürgerlicher Sicht keine Zeitverzögerungen leisten. So liegt der in der End-Absprache der Durban-COP benannte Zeitpunkt, das Jahr 2020, um eine – wie auch immer – verbindliche Vereinbarung zum Klimaschutz zu treffen, bereits zu spät, um angesichts des absehbaren weiteren Anstiegs von Treibhausgasen Klimaschutz diesseits der selbstverstärkenden tipping points überhaupt noch durchzusetzen.
Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma eines voraussichtlichen Scheiterns einer nur von den Staaten zu treffenden Vereinbarung und der fernen Utopie eines imaginären Weltparlaments, einer wirksamen Organisation des Weltbürgertums? Es wäre immerhin ein Schritt voran, wenn sich die innerhalb der COP versammelten einzelstaatlichen Exekutiven auf die folgende Selbstbeschränkung verständigen: Sie delegieren die Erarbeitung eines Konzepts einer Weltklimaschutz-Vereinbarung an ein Gremium, welches aufgrund seiner Stellung und seines Renommé am ehesten dem Anspruch gerecht werden kann, sine ira et studio, unparteiisch und nicht von partikularen, etwa einzelstaatlichen Interessen geleitet ein solches Konzept z erarbeiten. Ein Konzept, das neben den Zielen auch die zentralen erforderlichen Maßnahmen, notwendigen Finanzierungen (z. B. der internationale Klimafonds und seine Aufteilung bei Einnahmen wie Ausgaben) und in Grundzügen die einzelstaatliche Aufgaben in der Umsetzung der Verpflichtungen vorlegt. Dieses Gremium könnte vom UNO-Generalsekretariat eingesetzt werden. Es würde naturgemäß eng mit dem wissenschaftlichen Koordinationsrat des Klimaschutzes, dem IPCC, zusammenarbeiten. Vorstellbar ist, dass in dieses Gremium anerkannte NobelpreisträgerInnen, PhilosophInnen und Klimawissenschaftler zu berufen wären. Ebenso qualifizierte Vertreter von Weltreligionen. Für die Auswahl ist entscheidend, dass die Vertreter im Gremium neben fachlichen Kompetenzen im Klimaschutz einer universalistischen Moral folgen, also weltbürgerlich denken und handeln.
Aufgabe dieses Gremiums wäre, die Vorlage einer schlüssigen und rechtsverbindlichen Klimaschutzvereinbarung zu erarbeiten, nicht: diese zu beschließen. Von dieser Verantwortung kann und darf, trotz ihrer offenkundigen Unzulänglichkeiten, die Welt-Staatengemeinschaft in der COP nicht entlastet werden. Aber sie wird mit einer schlüssigen Vorlage konfrontiert, hinter die zurückzufallen zumindest schwierig sein wird. Das vorgeschlagene Weltklimagremium ersetzt nicht die ferne Utopie des organisierten Weltbürgertums. Aber vielleicht hilft sie dafür zu sorgen , dass die sich bildende Weltgesellschaft unter einem erbarmungsloser werden Himmel nicht gänzlich auseinander bricht. Dann wäre die Ausbildung der Welt- zur weltbürgerlichen -Gesellschaft in einer Zukunft denkbar, die wir allerdings nicht mehr erleben werden.
Hartwig Berger