Kommune. Zeitschrift für Politik-Ökonomie-Kultur 4/2008
von Hartwig Berger
Vorbemerkung
Dass Landwirtschaft zur energetischen Nutzung in massive Sozialkonflikte führt, zeigt besonders eindringlich das Beispiel Kolumbien. Ich stelle das im folgenden dar, um ein „naturalistisches“ Missverständnis zu korrigieren, mit dem sich einige Umwelt- und Entwicklungsorganisationen die Sache zu einfach machen. Gemeint ist die Auffassung, dass der Anbau von Energiepflanzen als solcher in die Krise führt. Das Ausgangsproblem liegt jedoch nicht in der Nutzung von Ölpalme oder Zuckerrohr an sich, sondern in den Rahmenbedingungen, unter denen eine Agrarwirtschaft für den Weltmarkt durchgesetzt wird; und ein zentrales Folgeproblem sind die Auswirkungen, die das in bisher (klein-)bäuerlich geprägten Regionen der Tropen und der Subtropen ländlichen Regionen hat. Unter anderen Rahmenbedingungen müssten Chancen und Folgewirkungen des Anbaus nachwachsender Energieträger vermutlich anders beurteilt werden. Allerdings bleibt die Frage, ob und wie andere Randbedingungen in einer Weltwirtschaft mit ihrer herrschenden Ideologie des Freihandels, der Dominanz multinationaler Konzerne, den unkontrollierten spekulativen Finanzmärkten und der Korruptionsanfälligkeit der meisten Regierungen und Verwaltungen überhaupt durchsetzbar sind. Noch so überzeugende Zertifizierungsregeln etwa zum Anbau von Ölpalmen bleiben eine geistige Trockenübung, solange ein deregulierter weltweiter Agrar- und Agrosprit-Markt sie locker unterlaufen kann .
Darstellung
Seit ungefähr 10 Jahren fördert und unterstützt der kolumbianische Staat neben dem verstärkten Anbau von Zuckerrohr vor allem die Herstellung von Palmöl . 2006 waren im Land 301.000 ha an Plantagen mit Ölpalmen registriert, mit einem Brennstoff-Ertrag von insgesamt 711.000 t. Verglichen zum Vorjahr 2005 war die genutzte Fläche um 8,5%, der Ertrag wegen der Jungpflanzungen nur um 5,9% gewachsen. In 10 Jahren hat sich der Ertrag um 74% gesteigert, von 2006 bis 2010 wird ein weiterer Zuwachs um 56% erwartet. Der Export, der ganz überwiegend den US-amerikanischen Markt bedient, hat sich von 1996 bis 2006 anteilsmäßig auf 34% verdreifacht.
Die nutzbare Fläche für Palm-Kulturen wird in Kolumbien auf 3,5 Mio. ha veranschlagt. Sofern sie in Anspruch genommen wird, vergrößert sich der Wasserbedarf der Landwirtschaft insgesamt um mehr als das Doppelte. Weit schlimmere Umwelt- und Klimafolgen sind zu erwarten, weil insbesondere bewaldetes Land als Eignungsfläche für Palmen vorgesehen ist. Nach Schätzungen der „Food and Agriculture Organization (FAO)“ der UNO ist Kolumbien mit 49 Mio. ha gegenwärtig noch zu 43% von Regenwald bedeckt . Die bewaldeten Zonen werden teils von Kolumbianern indigener, teils von afrikanischer Herkunft in angepasster Bewirtschaftung bewohnt und genutzt. Die Afro-Kolumbier sind Nachkommen der nach Amerika verschleppten Sklaven, die sich nach ihrer Freilassung als Bauern mit gemeinschaftlichem Landbesitz vor allem im Südwesten des Landes angesiedelt haben.
Beide Volksgruppen wirtschaften weitgehend außerhalb der kapitalistischen Marktlogik in Familienbetrieben, die auf Selbstversorgung und regionalen Austausch orientiert sind. Auch die Kleinräumigkeit ihrer Parzellen, die Vielfalt in Anbau und Viehhaltung und selbstverständlich fehlendes Kapital schließen Plantagenwirtschaft für sie aus.
Protagonisten der neuen Ökonomie nachwachsender Energie sind Unternehmer mit Kapital oder mit Zugang zu Kreditmärkten, allerdings ohne Landbesitz in den fraglichen Gebieten. Für die afrokolumbianischen Bauern kommt der Verkauf des Landes, von dem sie leben, auf dem sie seit Generationen wohnen und zu Hause sind, nicht in Betracht. In aller Regel wäre das wegen der kommunalen Eigentumsbindungen auch nicht möglich. Um an das land zu kommen, initiieren daher interessierte Unternehmen Formen der Enteignung, die an Brutalität die Konfiszierungen von Gemeindeland und von kleinbäuerlichen Pachten im vormodernen und modernen Europa noch übertreffen . Hier „hilft“ ihnen der endemische Bürgerkrieg, in dem der Staat seit vielen Jahren mit den Guerilla-Organisationen FARC und ELN steht. Da die FARC in von ihr kontrollierten Gebieten Landgemeinden zur materiellen und logistischen Unterstützung zwingt, entsendet die Regierung ihrerseits Militär in dieselben Gebiete und bildet oder toleriert paramilitärische Banden, die angeblich gegen die Guerilla agieren. Militärs wie Banden vertreiben unter dem Vorwand, die Guerilla unterstützt zu haben, ganze Gemeinden von Dorf und Land . Häufig wird das mit der Gefangennahme, Folterung und Ermordung insbesondere führender Gemeindemitglieder eingeleitet und bewirkt. Enteignungen finden ebenso durch Gerichtsprozesse einer korrumpierten Justiz oder die notariell beglaubigte Fälschung von Verfügungen Gestorbener oder Ermordeter statt. In Gebieten mit hohem Analphabetismus ist das bekanntlich leicht zu bewerkstelligen.
Zwangsweise verlassenes, enteignetes oder im Besitz verfälschtes Land wird von den (Para-)Militärs zu wechselseitigem Vorteil an Unternehmen oder Personen gegeben, die es dann weiträumig für Palmöl-Plantagen nutzen. Sofern vertriebene Bauern zurückkehren, haben sie nur die Wahl, sich zu Lohnarbeit auf ihrem früheren Land zu verdingen oder das Gebiet endgültig zu verlassen. Da der relative Arbeitsbedarf pro Fläche auf nur etwa ein Drittel des klassischen Familienbetriebe geschätzt wird, hat der größte Teil keine andere Wahl als zu gehen. Die Arbeitsbedingungen der Verbleibenden sind hart und die Löhne niedrig. Häufige Streiks – zuletzt im Frühjahr 2008 – und die Ermordung von 9 gewerkschaftlich engagierten Plantagenarbeitern in letzter Zeit zeugen davon.
Illegale Enteignungen sind in der Ausbreitung der kolumbianischen Palmöl-Wirtschaft eher Regel als Ausnahme. So führte das staatliche „Institut für ländliche Entwicklung“ , INCODER, in einer betroffenen Region eine Recherche durch, die zum Ergebnis hatte, dass 93% der mit Palmen bewirtschaften Fläche illegal angeeignetes Land afrokolumbianischer Bauern ist. In der untersuchten Provinz ist eine Verdreifachung der Plantagenfläche geplant. Damit hätten die bäuerlichen Gemeinden 50% ihres Landes verloren.
Trotz der erdrückenden Übermacht und Gewalt von Kapital, Militär und Korruption versuchen betroffene Bauern, mit Unterstützung von Kirchen, Gewerkschaften und Umweltorganisationen einen gewaltfreien Widerstand zu organisieren. Die enormen Risiken, die sie damit eingehen, kann am Kampf der Friedensgemeinde San José del Apartado, weiter nördlich und in einem bisher nicht mit Palmen bewirtschafteten Gebiet gelegen, illustriert werden. Dieses Dorf mit damals 1.300 Einwohnern erklärte sich im März 1997 zur Friedensgemeinde und verweigert seitdem allen bewaffneten Gruppe – ob Guerilla, Militär, Paramilitärs oder Drogenbarone – jede Art von Unterstützung. Seitdem wurden dort 187 Menschen von staatlich entsandten, von auf eigene Rechnung operierenden Militärs und teils auch von der FARC ermordet. San José del Apartado, dessen Kampf und Geschick international bekannt geworden ist, erhielt am 1. September 2007 den Aachener Friedenspreis.
Im Frühjahr 2008 haben sich im pazifischen Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Ecuador 13 Organisationen aus den betroffenen Gemeinden zu einem Runden Tisch gegen Palmöl zusammengefunden und eine gemeinsame Erklärung verfasst. Ich zitiere daraus:
„Wir verlangen, dass unsere Autonomie und unsere überkommenen Rechte respektiert werden, nämlich unser Recht am Land, an unseren traditionellen Arten es zu bewirtschaften, an unserer Kultur und ihren vielfältigen Darstellungen. Wir klagen das Recht ein, auf unserem Land geboren zu werden, dort zu leben und zu sterben, ohne dass uns Modelle wirtschaftlicher Entwicklung aufgezwungen werden, die unserer Kultur und den Umweltbedingungen am Pazifik fremd sind.“
Diese wie auch andere Selbstzeugnisse aus Kolumbien machen deutlich, dass die betroffenen Gemeinden vor allem ihr Recht auf Weiterführung der gemeinwirtschaftlich geprägten Familienökonomie und ihr Recht auf kulturelle Identität verteidigen. Die vordringende Plantagenwirtschaft halten sie für unvereinbar mit ihrer Art, das Land zu bewirtschaften. Sie lehnen sie auch wegen der bewirkten hohen Umweltschäden ab, unter denen sie gesundheitlich als erste zu leiden haben. Der Agrarkapitalismus wird des weiteren wegen der zerstörerischen Folgen auf ihre Kultur und ihre sozialen Lebensformen verworfen.
Wir haben es also mit einer sehr umfassenden gesellschaftlichen Kritik und einem darauf gründenden Widerstand zu tun, wie er gegenwärtig gegen den weiter vordringenden Agrarkapitalismus in vielen Weltregionen stattfindet. Diese Kritik wird von einer in ihrer urbanen Weltsicht eingeengten Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet. Lediglich die Bewegung der Zapatistas im mexikanischen Chiapas ist ein allerdings weithin bekanntes Beispiel. In den meisten ländlich geprägten Regionen unseres Planeten wird aber noch unter Bedingungen gelebt und gewirtschaftet, die nicht oder nur unter schweren ökonomischen und sozialen Verwerfungen in die kapitalistische Marktlogik integrierbar sind.
Resumé
Was lehren das Beispiel Kolumbien und die eben skizzierte Folgerung für den Palmöl-Konflikt? Nicht Anbau und Ernte von Palmen als solcher ist das Problem, sondern die Zerstörung bäuerlicher Ökonomien und Gesellschaften durch und für agrarkapitalistische Wirtschaftmethoden. Für diese und ihre Akteure ist es im Kern gleichgültig, was angebaut und auf dem Markt verwertet wird. Entscheidend ist, dass der Markt expandiert, zunehmend globale Züge gewinnt und aufgrund steigender Nachfrage einen Absatz zu lukrativen Preisen verspricht. Würde durch eine sich wandelnde Ernährungskultur der Bedarf an Obst aus den Tropen in den weltweiten Mittel- und Oberklassen rasant steigen, könnte mit der Einrichtung von Bananen- oder Orangen-Hainen derselbe desaströse Effekt im pazifischen Kolumbien eingeleitet werden, den wir an der Ölpalme skizziert haben. Würde der weltweite Zuckerkonsum bei stark steigenden Preisen hochschnellen, so dürfte sich der Zuckerrohr-Anbau in Lateinamerika stärker vom Kraftstoff-Sektor auf die Zuckerproduktion verlagern. So richtet auch der überhöhte und weiter steigende Fleischkonsum in den reichen Ländern und wohlhabenden Sozialklassen weltweit dadurch erheblichen sozialen Schaden an, dass sein enormer Flächenbedarf und die unweigerliche Ausweitung der großagrarischen Wirtschaft in südlichen Ländern bäuerliches Wirtschaftern marginalisiert hat und weiter marginalisiert. Die sozialen wie ökologischen Folgen des internationalen Fleischmarktes sind weit gravierender als der bisherige Boom der Agro-Kraftstoffe. Nur: Im Fall der Kraftstoffe expandiert der Weltmarkt seit einigen Jahren viel rasanter, so dass sich gegenwärtig die Zurückdrängung herkömmlicher Landwirtschaft vor allem auf diesem Terrain vollzieht.