Unzeitgemäße Betrachtung zur Endlagersuche

Dr. Hartwig Berger, zum Jahreswechsel 2019/2020

berger@oekowerk.de

 

Atommüll

Bild von Dirk Rabe auf Pixabay

Sollen wir uns mit der Suche eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle Zeit nehmen? Oder sollen wir alles daran setzen, den Prozess so zügig wie möglich durchzuführen? Nach dem bisherigen zeitlichen Ablauf zu urteilen, nimmt sich unser Land sehr viel Zeit. So warten wir mittlerweile geraume Zeit darauf, dass im ersten zur öffentlichen Beteiligung und Diskussion gestellten, Schritt die zuständige Bundesbehörde BGE[1]  darlegt und begründet, welche Regionen aufgrund der gesammelten und ausgewerteten Daten offenkundig ungeeignet und daher auszuschließen sind[2] und welche großräumigen Gebiete überhaupt für die Endlagersuche in Frage kommen.

Dass es dauert, ist allerdings nicht der BGE vorzuhalten, wohl aber dem Wirtschaftsministerium. Dieses ist für das sog. „Geodatengesetz“ zuständig, das für eine der Öffentlichkeit transparente und nachvollziehbare Endlagersuche unverzichtbar ist. Nach jahrelangem Warten wurde diese Gesetzesvorlage endlich am 18. Dezember 2019 vom Bundeskabinett beschlossen und dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt

Nahezu vergessen ist, dass vor fast 21 Jahren Jürgen Trittin als Bundesminister einen aus 18 kompetenten Fachleuten bestehenden Arbeitskreis eingesetzt hatte, der nach drei Jahren gründlicher Arbeit Ende 202 ein durchdachtes Konzept zur Endlagersuche vorlegte. Der Arbeitskreis hatte sich dabei auch detailliert auf geowissenschaftliche Ausschluss- und geo-, wie sozialwissenschaftliche Abwägungskriterien verständigt – und das, soweit ich sehe im Konsens. Übrigens mit einem mutigeren Ansatz gesellschaftlicher Mitwirkung, als wie er gegenwärtig praktiziert wird[3].

Der Bericht verschwand anschließend in den Aktenschränken. Der damaligen Bundesregierung fehlte der Mut – dem Leiter des Kanzleramtes und heutigem Bundespräsidenten wohl auch das Interesse – mit den auch zuständigen Bundesländern den Beginn einer voraussetzungslosen, wissenschaftlich geleiteten und partizipativ gestalteten Endlagersuche auszuhandeln

Nach zwölf so weitgehend vertanen Jahren wurde, auf Initiative des Grün regierten Baden-Württemberg,  2014 ein neuer Anlauf für ein Verfahren der Standortsuche in der Endlagerung gestartet. Schlussendlich hat dann die vom Bundestag eingesetzte Kommission binnen zwei Jahren einen Verfahrensvorschlag erarbeitet, der in das im Frühjahr 2017 verabschiedete Bundesgesetz zur Standortsuche einmündete. Insbesondere von den Organisationen und Initiativen, die einschlägig aktiv sind, wurde das Gesetz aus vielen inhaltlichen Gründen kritisiert. Vor allem wurde auch geltend gemacht, dass die Arbeit der Kommission und die anschließende parlamentarische Beratung weder Raum noch Zeit ließ für Bürger*innen-Mitwirkung und für eine breiter geführte gesellschaftliche Debatte

Die Kritik insbesondere an der fehlenden Beteiligung der Zivilgesellschaft ist berechtigt[4]. Von manchen Initiativen und Organisationen in der Atom- und Entsorgungspolitik wird darum sogar der Schluss gezogen, dass das gesamte Verfahren zur Methode der Endlagersuche einen Neustart braucht – dieses Mal unter breiter Bürgermitwirkung. Die Folgerung und Forderung ist nachvollziehbar, ich halte sie jedoch für den falschen Schritt und möchte das im folgenden begründen. Als generationsbedingt Mitverantwortliche für das hochradioaktive Desaster, welches die jahrzehntelange Atomstrom-Erzeugung hinterlässt, dürfen und können wir es uns nicht leisten, eine Entsorgung dieses Desasters unter dem Aspekt höchstmöglicher Sicherheit zu verzögern und zu verschleppen. „Sich mehr Zeit nehmen, um sorgfältig und bürger*innengerecht zu planen“ ist eine Maxime, die einen falschen, da jederzeit geltenden Gegensatz zwischen Sorgfalt, Mitwirkung und Zeitbedarf unterstellt. Vielmehr stellt sich die Aufgabe, die Endlagersuche so zu organisieren, dass sie wissenschaftlich-technische Sorgfalt, Bürger*innenmitwirkung  und zügigen Zeitverlauf miteinander sinnvoll und widerspruchsfrei verbindet. 

Wenn wir uns für die Endlagersuche mehr Zeit nehmen als zwingend notwendig, führt das zu schwerwiegende Nachteilen und zu hohen Zusatzrisiken. Ich erläutere das im folgenden in drei Schritten und füge dem nur stichpunktartig an, warum das aus meiner Sicht mit einer anspruchsvollen Bürger*innen-Mitwirkung durchaus vereinbar ist:

 

1. Das Hochrisiko der Zwischenlager

Atommüllzwischenlager

Bild von 2396521 auf Pixabay

Nach Stilllegung der aller Atomreaktoren – in Deutschland spätestens am 31.12. 2022 – stellt die Lagerung der hoch-radioaktiven Brennelemente an der Erdoberfläche für Jahrzehnte das mit Abstand größte Risiko dar. Das gesamte radioaktive Potential, das einst tief unter der Erde lagern soll, befindet sich in Deutschland gegenwärtig in 16, zudem durchweg gegen gezielten Terror unzureichend geschützten Lagern, diese liegen wiederum in der Nachbarschaft von Siedlungen, teilweise von Großstädten. Nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz befanden sich 2017 1.548 Castoren in dieser Lagerung, wobei nicht alle Standorte mitgezählt waren. Das Potential radioaktiver Strahlung aller dieser beziffert das BfS auf 100 Trilliarden[5] Becquerel,  rechnerisch mehr als ausreichend, um die gesamte Menschheit  mit sicherer Todesfolge zu verseuchen.

Wir sollten uns das Risikopotential vor Augen halten, auch angesichts der mit Sicherheit anstehenden Debatte an den einzelnen Standorten, wenn – wie nach gegenwärtigem Stand sicher zu erwarten – die Standortsuche für ein Endlager länger andauert als der auf 40 Jahre befristete Genehmigungs-Zeitraum für die Zwischenlager. Es wird dann überall ein neues Genehmigungsverfahren geben,  für das den betroffenen Bewohner*innen und den Umweltverbänden extensive Beteiligungsrechte einzuräumen sind. Große Teile der Bevölkerung werden sich zu Recht „verladen“ sehen, weil die Lager unter der Maßgabe „maximal für 40 Jahre“ errichtet wurden und weil sie jetzt eine schleichende Entwicklung zu Endlos-Lagern befürchten müssen; insbesondere dann, wenn nicht zuverlässig gesagt werden kann, bis zu welchem Zeitpunkt ein Abtransport in ein noch zu findendes und zu bauendes Endlager stattfinden wird.

Hinzukommt, dass die Genehmigung der Castoren selbst, als Schutzhülle für die hochradioaktiven Brennelemente, auf 40 Jahre befristet ist. Es wird also an den Zwischenlager-Standorten zugleich komplizierte und wegen der enormen Strahlungsaktivität Reparaturen oder gänzlichen Erneuerungen etwa an den Deckeldichtungen geben müssen. Eine Art Experiment „in vivo“, weil es bislang keine entsprechenden Erfahrungen gibt.

Wenn wir nun dafür plädieren, dass die Standortsuche zeitlich gestreckt, oder gar – wie verschiedentlich vorgeschlagen – als gesellschaftlicher Prozess der breiten Konsensfindung zum Verfahren neu beginnen soll, verlängern und strecken wir die hochriskante Zwischenlagerung um weitere Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte. So hat sich inzwischen an den Zwischenlager-Standorten rumgesprochen, dass die Zwischenlagerung nicht auf 40 Jahre beschränkt bleibt, sondern um eine unbestimmte Zeit verlängert werden muss[6].  Es wurde selbst vorausgesagt, dass die Zwischenlagerung mindestens 100 Jahre andauere.  An die Zumutungen für nachfolgende Generationen, die mit diesen Hinterlassenschaften dann umzugehen haben, wurde bei diesen hingeworfenen Zukunfts-Prognosen nicht gedacht.

Angesichts dessen ist verständlich und nachvollziehbar, wenn die im Umkreis wohnenden Menschen irgendwann auf die Barrikaden gehen. Es überrascht eher, dass dies bisher erst in geringem Umfang geschieht. So unstrittig es ist, dass wir die Endlagerung des Strahlenmülls in Verantwortung für Generationen und die Biosphäre bis in erdgeschichtlicher Ferne regeln müssen; so zwingend ist es ebenso, in der Verantwortung für die Generationen in kürzeren Zeiträumen die Zwischenlagerung, bei gleichzeitiger Steigerung der Sicherheitsstandards, so weit wie irgend möglich zu verkürzen.

 

2. Endlagern im Schatten wachsender Klimakonflikte

Die Zeit läuft uns davon. Denn: Je länger die Regelung einer möglichst gesicherten Endlagerung dauert, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesellschaften auf unserem immer mehr verwüsteten Planeten in der Bewältigung dieser Aufgabe die geforderte Handlungsfähigkeit noch mitbringen. Wir dürfen in der Planung von Aufgaben, deren Erfüllung – wie im Fall „Endlagerung“ – in die Zukunft verschoben werden, nicht übersehen, dass in den kommenden Jahren die Verwundbarkeit der Gesellschaften größer wird und ihre Funktionsfähigkeit stärker in Frage steht. Beschränken wir uns[7] hier auf die Prognosen der globalen Klimaforschung, die sich als immer einschneidender und unwiederbringlich darstellen[8].Und konfrontieren das mit den Nicht-Resultaten[9] der 25. Klimakonferenz in Madrid, nach der keine Trendwende sondern eine weitere Zunahme an klimaverändernden Gasen mit den bekannten katastrophalen Folgen zu erwarten ist. Nach dem Stand der Klimaforschung muss der weltweite Ausstoß von klimarelevanten Gasen jedoch kontinuierlich jährlich um mehrere Prozentpunkte sinken, wenn die Erde nicht in den Strudel einer sich beschleunigenden Erhitzung geraten soll.

Für eine verantwortungsvolle Planung des Endlagerprozesses können und dürfen wir diese mögliche Entwicklung nicht ignorieren. Selbst wenn wir alles dransetzen, diese schleichende Katastrophe zu verhindern, müssen wir für den zeitlichen Verlauf der Endlagerplanung von der Wahrscheinlichkeit einer schnellen Abwärtsentwicklung im globalen Klima ausgehen.

Je mehr sich die schleichende Klimakatastrophe auswirkt, desto schwieriger wird es für die Staaten und Gesellschaften, mit den sich häufenden Schwierigkeiten und Problemen umzugehen, funktionsfähig zu bleiben. Wenn wir über den Tellerrand des im Vergleich idyllischen Europa schauen, ist ein Zusammenhang von Klimakrise und gesellschaftlichem Zerfall bis hin zu Staatszerfall kaum mehr zu leugnen[10].

Mit einer Verschärfung der Klimakrisen werden innerstaatliche und zwischenstaatliche Gewaltkonflikte voraussichtlich zunehmen und klimabedingte Fluchtbewegungen werden, verschärft durch diese Konflikte und durch Verarmung, in ihrem Ausmaß ansteigen.

Vermutlich finden Gewaltkonflikte und Staatszerfall eher in Gesellschaften statt, die ohnehin „vulnerabler“[11] sind, die nicht in den zweifelhaften Genuss der Kernspaltungstechnik gekommen sind und die folglich nicht für eine Endlagerung des angerichteten Desasters sorgen müssen. Ich halte das, vom zynischen Beiklang abgesehen, für eine bequeme Selbsttäuschung. So ist die Europäische Union allein durch Fluchtbewegungen der letzten Jahre in eine Dauerkrise geraten, die angesichts insgesamt intakter Staats- und Gesellschaftsstrukturen durchaus zu bewältigen war und ist. Verglichen zu dem, was aufgrund der Klimakrise an internationaler Flucht und Migration bevorsteht, ist die bisherige Situation vergleichsweise „harmlos“ und einfach zu lösen. Dennoch hat die Europäische Union den Tod Tausender im Mittelmeer hingenommen und durch Hilfsverweigerung verstärkt; sie hat den Aufstieg eines xenophoben[12] Nationalismus in nahezu allen Mitgliedsstaaten erlebt, der in der Abwehr oder dennoch gelingenden Zuwanderung Geflüchteter ihre zentrale Motivation und „Nahrungsquelle“ hat.

Die ohne Frage schwerwiegenden Probleme, die sich mit den Folgen einer im schlimmsten Fall beschleunigten Erderhitzung stellen, werden alle Gesellschaften auf unserem Planeten erschüttern und destablisieren, sei es durch direkte Konfrontation – etwa durch weiträumige Überschwemmungen, Ernteausfälle, Hungersnot, monströse Brände –  oder in unvermeidlicher Wechselwirkung – wie Massenflucht, Kriege, den Zerfall ganzer Staaten. Die so entstehenden Schwierigkeiten und immensen Herausforderungen werden die ganze Kraft der Staaten und Gesellschaften verlangen, oder sie so erschüttern, dass ihre Funktionsfähigkeit stark eingeschränkt wird.

Auf die Fähigkeit wie vor allem die Bereitschaft der Staaten und Gesellschaften,  den hochgefährlichen Strahlenmüll, der ihnen hinterlassen wurde,  mit einer komplexen und stark risikobehafteten Endlagerung sachgerecht und angemessen zu entsorgen, wird sich unweigerlich negativ auswirken. Wird die Gesellschaft sich um den Schutz vor freigesetzter Radioaktivität in  ferner Zukunft sonderlich kümmern, wenn sie mit schweren und existenzbedrohenden Problemen in der Gegenwart zu kämpfen hat? Ich denke: nein. Wird sie die einfachsten Wege wählen, um das Zeug wegzuräumen, ungeachtet zukünftiger hoher Strahlungsgefahren? Ich fürchte: ja.

 

3. Eine Zumutung für die Nachgeborenen

Aus der Sicht zukünftiger Generationen ist der gesamte Prozess der Endlagerung eine Zumutung. Jede/r, die oder der in dieser Frage gegenwärtig agiert oder mitmischt, kam mindestens sein halbes Leben lang in den zweifelhaften Genuss von Atomstrom, unabhängig davon, ob sie oder er das gut fand, hingenommen hat oder dagegen demonstriert und blockiert hat. Immerhin können sich die Letztgenannten zurechnen, dafür gesorgt zu haben, dass nicht noch mehr an unheilvollem Strahlenmüll als ohnehin schon produziert wird. Doch diese Hinterlassenschaften lasten wir alle den Nachgeborenen und deren Nachkommen auf, die keinerlei Vorteile einer Energie aus Kernspaltung oder der Verbrennung fossiler Ressourcen hatten.

Hinzu kommt, dass die langjährige Endlagersuche selbst, die in unserer Lebens- und Handlungsphase beginnt, nur eine virtuelle, keine wirkliche Belastung darstellt. Wohl aber die Zwischenlagerung mit schwer abschätzbaren Risiken wie die nie auszuschließenden Gefahr nuklearterroristischer Anschläge(vgl. Abs.1.). Die weitere und dann erhebliche Zumutung bringen die Errichtung und anschließend die Bestückung des oder der Endlager: Nach Einschätzung von Fachleute dauert sie über Jahrzehnte. Einige Bemerkungen dazu, auch wenn wir uns hier in einer Grauzone bewegen:

Die Region, in der die Endlagerung stattfinden wird, wird sich grundlegend verändern. Auch oberirdisch werden dort großräumige Anlagen, Fabriken, Zufahrten und Lagerstätten errichtet werden. Unstrittig ist, dass für die dann anfallenden rund 2.000 CASTORen, die im übrigen als hochriskantes Stückgut aus den (gegenwärtig) 16 Zwischenlagern über meist weite Strecken transportiert werden, vorab ein „Eingangslager“ errichtet werden muss. Es wird sich dabei um einen Hochsicherheitstrakt ungeahnter Ausmaße, in vermutlich unterirdischer Lage, handeln.

Möglicherweise müssen die extrem strahlenden Brennelemente aus allen CASTORen herausgetrennt und in neue Behälter verlagert werden. Risiken dieser Arbeit,  auftretende Schwierigkeiten und der Umgang mit der hohen Strahlenbelastung beim Umlagern sind schwer abschätzbar. Forschungen dazu, die gerade für unsere Nachgeborenen von großem Interesse wären, sind mir nicht bekannt. Zu befürchten sind in jedem Fall bereits Abnutzungen der unter hohem Strahlungsdruck stehenden CASTORen in der Zwischenlagerung, die es möglicherweise erforderlich machen, bereits lange vor der Endlagerung komplizierte Auswechslungen und Umlagerungen vorzunehmen

Gegenwärtig schwer kalkulierbar sind die finanziellen Belastungen, die wir der nachkommenden Generation zumuten. In Deutschland wurde schlussendlich ein kerntechnischer Entsorgungsfonds eingerichtet und mit 24,1 Mrd. € von den Verursachern, den Betreibern der Atomkraftwerke bestückt. Die Kommission, die den Fonds ausgehandelt hat, sichert zu, dass dieser Fundus für die Finanzierung der gesamten Endlagersuche, einschließlich der Kosten der Zwischenlagerung, ausreichen wird.

Ich halte das für unseriös und in keiner Weise für zuverlässig belegbar. Der eingezahlte Betrag von 24,1 Mrd. € ist so konzipiert, dass er über Verzinsung und Gewinne aus Kapitalanlagen die geschätzten Kosten in der Zukunft decken soll. Der bisher nicht angelegte Betrag schwindet, wenn auch nur leicht, durch negative Verzinsung. Aktien und bisher getätigte Anlagen – sollen von Fachinstituten so beziffert – bis zum Frühjahr 2019 Verluste von mehreren Mrd. € erlitten haben[13]. Ob das nur vorübergehende Einschnitte sind, oder ob im Herbst 2019 hohe Dividenden verbucht werden, wie in mir nicht zugänglichen Dokumenten mündlich zugesichert wurde, kann  nicht beurteilen. Ein über lange Sicht wirkendes Manko ist, dass die Kalkulation mit Jahr für Jahr sich fortsetzenden Anlage-Gewinnen, auf die der Fonds zur ausreichenden Finanzierung zukünftiger Ausgaben rechnet, einem realitätsfernen neoliberalen Dogma folgt. Es wird angenommen, dass das angelegte Grundvermögen – und das über Jahrzehnte – um eine jährliche Rendite von mehreren Prozent, abzüglich Inflationsrate, zunimmt[14]. Welche Zahl auch gewählt wird: Die Annahme gründet sich auf spekulatives Handeln mit Wertpapieren und auf dem realitätsfernen Glauben an ein unendlich fortgesetztes wirtschaftliches Wachstum, das allein aufgrund der sich zuspitzenden Umweltfolgen seinen eigenen Zusammenbruch produzieren würde.

Der kürzlich veröffentlichte „World Nuclear Waste Report 2019“[15] bilanziert unter anderem die Finanz-Regelungen für die Staaten der EU und für die USA. Er kommt zu Ergebnissen, die deprimieren und beunruhigen. Das Verursacherprinzip wird in den meisten Staaten entweder überhaupt nicht oder offenkundig unzureichend beachtet.  Selbst was den Abbau von Atomanlagen betrifft, wird er in einigen Ländern wie Litauen, die Slowakei und Bulgarien den verantwortlichen Unternehmen erlassen und dem Staat aufgetragen.   Die Kostenschätzungen für die Entsorgung nuklearer Rückstände sind fragwürdig und erheblich zu bezweifeln. So basieren sie in den USA, Frankreich und Deutschland auf Studien aus den 70er und 80er Jahren, deren Daten längst überholt sind und weit nach oben hin korrigiert werden müssen. Wenn ein staatlich kontrollierter Entsorgungsfonds eingerichtet wurde, werden Diskontsätze unterstellt, die nach Einschätzung des Reports „offenkundig zu optimistisch“ sind. 

Eine zukünftige Überwälzung des überwiegenden Teils der Kosten auf die nachfolgende Generation ist so geradezu programmiert, ein  Dumping auf Kosten der Sicherheit die weitaus wahrscheinlichere „Lösung“.

 

Die zentrale Zumutung an die Nachgeborenen wurde in diesem Essay bereits angesprochen: Es gibt gegenwärtig keinen irgendwie überzeugenden Grund anzunehmen, dass der Abwärtsgang in die sich beschleunigende Klimakatastrophe in den kommenden Jahren gestoppt wird, schon gar nicht mit dem weniger als halbherzigen Klimapäckchen, zu dem sich die deutsche GroKo nach Jahren der Untätigkeit durchrang. Es zeichnet sich in keiner Weise ab, dass der jahrzehntelang andauernde Anstieg der weltweit generierten Treibhausgasen gebrochen wird, geschweige denn in eine abfallende Kurve gelangt; dass die massive Entwaldung in vielen Weltregionen irgendwo gestoppt  wird; dass es mit der andauernden Trockenlegung von Feuchtgebieten, die dann massiv gebundenen Kohlenstoff  oxidiert freisetzen, ein Ende hat. Weitaus wahrscheinlicher ist, dass im Jahr 2050, in dem nach optimistischer Schätzung[16] mit der Errichtung eines Endlagers in Deutschland begonnen werden kann, sich die planetarische Gesamtlage definitiv verschlechtert hat und die damit entstehenden Probleme und Konflikte selbst dem in Vergleich gesegneten Deutschland und der Europäischen Union über den Kopf gewachsen sind. Unter diesen Umständen zu erwarten, dass unsere Nachkommen eine komplizierte, hochriskante und zudem nicht ausfinanzierte Endlagerung mit der gebotenen Sorgfalt durchführen, ist ein schwerlich realitätsgerechter, schlicht naiver Glaube.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zu hoffen bleibt also, dass unsere Nachkommen um Dimensionen verantwortlicher handeln, als die gegenwärtig auf Kosten der Zukunft lebende Generation. Bei der ist, trotz positiver Signale etwa aus der F4F-Bewegung, wenig zu bemerken. Nie wurden im angeblich relativ umwelt- und klimabewussten Deutschland so viele SUVs gekauft, wie im Jahr 2019, nie wurde so oft geflogen, nie wurden so viele Urlaubsreisen auf den energiefressenden Kreuzfahrtschiffen gebucht. In einem Land, in dem nicht einmal „Tempo 130“ als Maximum durchsetzbar erscheint, bewegt sich zukunftsorientiertes Verantwortungshandeln bisher nur auf der Kriechspur.

 

4. Bürgermitwirkung ohne Zeitverzug

Wie kann eine Endlagersuche ohne Zeitverzug mit angemessener Beteiligung und Mitwirkung von Bürger*innenschaft und kommunalen Körperschaften sinnvoll und widerspruchsfrei verbunden werden? Ich beschränke mich auf einige Thesen[17]:

  • Vollständige und bedingungslose Transparenz in allen Aktivitäten der zuständigen Gremien und Verwaltungen bezüglich der Endlagerung. Für Vermutungen, dass irgendetwas vorenthalten wird, darf es keinen Anlass geben.
  • Die Regionalkonferenzen, welche in den zu untersuchenden Gebieten eingerichtet werden, wirken an der Nominierung von Fachkundigen und von Fachinstituten mit, welche die Untersuchungen durchführen, wie auch an den Gremien, welche die erzielten Ergebnisse evaluieren.
  • Den Regionalkonferenzen – und mit ihnen die Bürger, die sich im Prozess engagieren –werden im Prozess auch Rechte der Mitentscheidung zugestanden. Dabei muss klar sein, dass ein Recht der Mitentscheidung eine Verpflichtung einschließt: nämlich mit dafür zu sorgen, dass der Strahlenmüll der maximal möglichen Sicherung in einem unterirdischen Endlager zugeführt wird. Unter dieser zentralen „Spielregel“ kann der Regionalkonferenzen z.B. die Möglichkeit gegeben,  an den Recherchen und  deren Auswertungen  selbst mitzuwirken. Es kann ihnen angeboten werden, sich unter dieser Spielregel  an den zu treffenden Entscheidungen im Prozess der gebietsbezogenen Untersuchung zu beteiligen. Erst wenn hier kein Konsens erzielbar ist, zählt das letzte Wort des staatlich eingesetzten Gremium.
  • Den Regionalkonferenzen kann gleichwohl das Recht zugestanden werden, gegenüber der Empfehlung, die das Gremium letztlich dem Bundestag zur Entscheidung vorlegt, gegebenenfalls ein eigenes abweichendes, allerdings zu begründendes Votum abzugeben.
  • Wenn im letzten entscheidenden Schritt, der endgültigen , immer vom Bundestag zu treffenden Entscheidung über ein geeignetes Endlager, zwischen den noch im Spiel befindlichen Regionalkonferenzen kein Konsens erzielt wurde, ist noch folgender Schritt möglich, dem Vorbild Frankreichs beim dort gegenwärtig gebildeten nationalen Bürgerkonvent Klimaschutz folgend: per repräsentativer Zufallsstichprobe einen Konvent von Bürger*innen zu bilden, der in einem mehrmonatigen Prozess die Vorgaben sichtet und seine Empfehlung direkt dem Bundestag einreicht.
  • Immer jedoch sollte es eine zentrale Aufgabe der Regionalkonferenzen, Konzepte und Strategien zur Gestaltung der Region zu erarbeiten und entscheidungsreif zu machen, in welcher nach Stand der Dinge das Endlager eingerichtet werden kann.

 


 

[1] Bundesgesellschaft für Endlagerung

[2] Zum Beispiel, weil hier Vulkane ausbrechen, Erdbeben oder größere Erdverschiebungen entstehen, oder menschliche Aktivitäten die Bodenschichten bereits durchlöchert haben.

[3]     Dieses Beteiligungskonzept, das den Bürger*innen auch Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte einräumt, verdankte der Arbeitskreis vor allem dem 2011 verstorbenen Soziologen Detlev Ipsen,

[4]     Dazu mein Artikel: Mitwirken auf Augenhöhe! – Das Endlager-Suchgesetz in sozialwissenschaftlicher Sicht. https://www.hartwig-berger.de/cms. Dort in der Sektion „Politik“ zu finden.

Ich war seinerzeit so naiv, dem Aufruf der Endlager-Kommission zur Einreichung von Vorschlägen und ggf. Einwänden zu folgen. In der dazu stattfindenden Sitzung des Umweltausschusses, an der ich als Zuhörer teilnahm, stellte sich  dann heraus, dass niemand der Abgeordneten oder ihrer Mitarbeiter*innen die eingebrachten Einwände überhaupt gesehen, geschweige denn  gelesen  hatte.. Der Ausschuss hatte lediglich eine Firma beauftragt zu kategorisieren, zu welchen Themenbereichen überhaupt Stellungnahmen, gleichgültig welchen Inhalts, abgegeben worden waren. Das war Öffentlichkeitsbeteiligung als Farce und zugemutete Zeitverschwendung.

[5]    www.bfs.de

[6]     So wendet sich das Forum „Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.“, das zum Zwischenlager Gundremmingen aktiv ist, gegen die unzureichende Sicherung des Lagers, seine weitere Bestückung durch CASTORen aus benachbarten AKWs und gegen eine schleichende Verwandlung in ein Endlos-Lager.

[7]     [Bezüglich der..]Die Klimakrise drängt sich auf, um auf die zunehmende Verwundbarkeit vieler Gesellschaften zu verweisen. Die Wasserkrise in immer mehr und immer ausgedehnteren Weltregionen, die Degradation landwirtschaftlich nutzbarer Böden, die Folgen des globalen Biozids an Tier- und Pflanzenarten oder die Kontamination und Plünderung der Weltmeere „eignen“ sich ebenso für meine Argumentation.

[8]     Insbesondere wird der Eintritt der berüchtigten sog. tipping points inzwischen weit eher als ursprünglich prognostiziert, vermutet. Vgl. dazu den IPCC report 1,5 Celsius – Planet Nearing Tipping Point, 10/2018.

[9]     Gipfel des Desasters unter einer inkompetenten chilenischen Leitung ist, dass bereits die Verhinderung eines Resultats, nämlich eine kontraproduktive Regelung zu einem globalen Klimamarkt ( zu Art. 6 des Pariser Vertrags) als erfreuliches „Ergebnis“ gelten darf.

[10]    Einige Beispiele:

  • Der Darfur-Krieg im West-Sudan zu Beginn des 20. Jahrhundert. Auch Ban-Ki-Moon, als UNO-Generalsekretär, diagnostiziert 2007 verstärkte Wüstenbildung und Bodenerosion als eine zentrale Ursache für einen existenziellen Ressourcenkonflikt zwischen Gesellschaften von Bauern und Viehzüchtern. Im Darfur Konflikt wurden mehrerer Hunderttausend Menschen ermordet und annähernd drei Millionen in die Republik Tschad, eines der ärmsten Länder der Welt, vertrieben.
  • Ähnlich analysieren Berichterstatter der französischen Medien Klimaveränderungen und ländliche Ressourcenkonflikte als eine Ursache des Dschihadismus, insbesondere bei der halbnomadisch lebenden Volksgruppe der Peul (z.B. Le Monde, 28.12. 2019 zu Burkina Faso)
  • Dem Bürgerkrieg in Syrien und seiner mörderischen Gewaltspirale gingen mehrere Jahre ungewohnter Dürre voraus. Diese zwang Hunderttausende an Bauernfamilien zur weitgehend mittellosen Flucht in die Städte. Hier setzten dann 2010/11 die Proteste aus der Bevölkerung ein , die neben der Kritik am autoritären Regime eine deutliche soziale Note trugen.

Der Bürgerkrieg im Süd-Sudan wurde durch die Ressourcenkonflikte zwischen mit wandernden Viehhirten wirtschaftenden Gesellschaften (wie den Nuer) und eher sesshaft wirtschaftenden (wie den Dinka) stark angetrieben. Kaum zufällig in einer Zeit ungewöhnlicher und extremer Trockenheit.
Generell zu den Zusammenhängen von Klimakrise, Gesellschaftskrise, Gewaltkonflikte: der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Gutachten „Sicherheitsrisiko Klimawandel” von 2007.

[11]    = verwundbar, verletzlich

[12]    = fremdenfeindlichen

[13]    Laut Bericht des „private banking magazine“ vom 1.4. 2019 verloren die Aktien im Fonds zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2018 8,6 Prozent an Wert. Bei den Anleihen waren es 3,2 Prozent.

[14]    Der Vorstand des Fonds nimmt sogar an, dass sich das angelegte Vermögen in den kommenden Jahren um jährlich 6,1% erhöht (Papier zur Jahrespressekonferenz vom 23.2. 2019). Wie sich das mit den hohen Verlusten verträgt, ist unerfindlich.

[15] The World Nucelear Waste Report 2019. Focus Europe, hrsg. u.a, von der Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament (unter Federführung von Rebecca Harms,  MdEP bis 2019), der Heinrich Böll Stiftung und der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg; hier:  ch.6 “Costs and Financing”.

[16]    So Wolfram König, Präsident der BfE, in der Berliner Morgenpost, 27.12. 2019.

[17] Dazu  instruktiv und hilfreich: Detlev Ipsen, Regionalentwicklung am Standort für ein atomares Endlager.  Vortrag anlässlich der Anhörung der Landtagsfraktion  Bündnis 90/Die Grünen  Niedersachsen „Endlager für Atommüll in Deutschland“, Dezember 2003 in Hannover.  Dto.: IPSEN, Detlev: Bürgerbeteiligung und Regionalentwicklung am Standort für ein atomares Endlager, In: Peter Hocke, Armin Grundwald (Hg.): Wohin mit dem radioaktiven Abfall, Berlin: Edition Sigma, 2006, S. 105-118.

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