Traust du der Bank, landest du selbst auf einer

Spanien im Sommer 2011

Aufsatz von Hartwig Berger

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Spanien ist Zielscheibe der Finanzspekulation und ähnlich wie Griechenland von Staatsbankrott und einem langwährenden wirtschaftlichen Niedergang bedroht. Noch zwanzig Jahre nach seinem EU-Beitritt im Jahr 1986 brillierte das Land mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten, so dass euphorische Politiker bereits darauf setzten, in der Magie des BSP-Vergleichs die Kernländer der Europäischen Union zu überholen.

Ihr Traum ist gründlich zerstoben. Seit 2008 stagniert die Wirtschaft, bei zeitweiser Schrumpfung. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen liegt im Juni 2011 bei 4,2 Mio und 21,3%, bei einer im EU-Durchschnitt niedrigen Beschäftigungsquote: Die Jugend unter 25 Jahre ist zu 45% ohne registrierte Anstellung, rund 900.000 von ihnen sind ohne Berufsausbildung. Wenn es keinen neuen, legendären Aufschwung gibt, erwartet sie Dauerarbeitslosigkeit mit Kurzunterbrechungen, wahrscheinlich auf dem grauen Arbeitsmarkt und zu schlechteren Bedingungen. Wer in diesen Zeiten Arbeit findet, erhält sie nur zeitlich befristet; seit Ende 2008 sind 10% oder weniger der Vertragsabschlüsse unbefristet und mit Kündigungsschutz.

Spaniens vor Jahren total überhitzte Bautätigkeit ist weitgehend eingestellt. Überall stehen die Kräne still, sind halbfertige Ruinen oder leeres Bauland zu sehen. 700.000 Wohnungen waren im Juni 2011 als unverkäuflich registriert. Rund 800.000 Bauarbeiter gehen stempeln – ein unbekannter Anteil geht ohne Bezüge leer aus. Staat, Provinzen und viele Gemeinden sind verschuldet, manchmal bis zur Zahlungsunfähigkeit. Noch um die Jahrhundertwende konnte Spaniens Staatshaushalt ohne rote Zahlen abschließen, inzwischen ist die Kreditlast so stark gestiegen und die Bonität gesunken, dass das Parlament 2010, mit knapper Mehrheit von sozialdemokratischer PSOE und der Enthaltung einiger Regionalparteien, ein Spar- und Sanierungsprogramm beschließen musste . Die Gehälter für Staatsangestellte und die Renten wurden gekürzt, Sozialleistungen für Arbeitslose verringert, teilweise sogar gestrichen und das Kündigungsrecht gelockert. Der Sozialabbau ist Hauptgrund der schweren Niederlage, die die PSOE bei den Kommunal- und partiellen Regionalwahlen im Mai 2011 einstecken musste. Auch ein deutlicher Linksruck, den ihr neue gekürter Präsidentschaftskandidat Rubalcaba im Juli einleitete, wird ihr ein ähnliches Schicksal bei den auf den 20. November vorgezogenen Nationalwahlen nicht ersparen. Jedenfalls, wenn man den gegenwärtigen Meinungsumfragen traut.

Doch auch das spanische Wirtschaftswachstum vor der Krise stellt sich bei näherem Zusehen als Blase dar, die früher oder später zerplatzen musste. Für die entsprechende Politik sind im übrigen die Partido Popular (PP) wie die PSOE in gleicher Weise verantwortlich. Wohl kein anderes Land hat in den letzten 25 Jahren so massiv und mit dem Rückenwind der EU-Strukturförderung Straßenbau betrieben und die Tiefbau- und Verkehrslobby ohne Rücksicht auf den Landschafts- und Umweltschutz bedient. Eine gezielte Förderung zukunftsträchtiger Wirtschaftszweige fand nicht statt, mit der durchaus rühmlichen Ausnahme der Solar- und der Windkraft-Branche. Doch auch hier hat bisher, anders als in Deutschland, die Fabrikation und vor allem der Export von Anlagen bisher nur nachrangige Bedeutung. Die Landwirtschaft entwickelte sich zwar unter dem Schutzschirm der EU-Subventionen zu einem starken und exportfähigen Sektor, wobei eine Steigerung der Umwelt-Beeinträchtigungen und Risiken – und damit absehbare wirtschaftliche Rückschläge in Kauf genommen werden. Die Verwandlung großer Teile (nicht nur) der Provinz Almería in ein endloses Plastikmeer ist bekannt. Der intensive Dünge- und Pestizid-Einsatz hat Folgen, vor allem aber befördert eine intensive und teilweise aus Grundwasser gespeiste Berieselung die ohnehin bei zurückgehenden Niederschlägen im Jahresmittel steigende Austrocknung und auf mittlere Sicht das Risiko einer Desertifikation. Auch die Landwirtschaft in den anderen südspanischen Regionen, die stark durch Großgrundbesitz geprägte sind, verschlechtert massiv die Umweltqualität. Soweit die Bodenfruchtbarkeit das irgend zulässt, wurde das Land großflächig und ohne Randbewuchs unter die Pflugmaschine genommen. Anfällige Flächen wie leicht auswaschbare Hügelhänge wurden nicht geschont; kilometerweit fehlt jeder Baumbestand, sofern es sich nicht um Oliven, Obstbäume oder wasserzehrende Schnellwuchsplantagen wie Eucalyptus handelt. In Trockenzonen, fern der Flussgebiete, werden auch Pflanzen mit hohem Wasserbedarf, wie Baumwolle oder Mais angebaut und mit Grundwasser berieselt. Eine starke Bodenerosion ist die Folge – in einer Region, der die Klimaforschung die Prognose einer sich leicht über die Meeresenge ausbreitenden Wüstenzone anheftet.

Vor allem konzentrierte sich Spaniens wirtschaftliche Entwicklung nach dem EU-Beitritt auf den Bausektor. Hier wurden pro Jahr mehr Häuser gebaut als in Frankreich, Deutschland und Italien zusammen. Spanien konnte sich hier zum einen auf den sommerlichen Touristenstrom verlassen, der – anders als in Griechenland – auch im Jahr 2011 anhielt. Mehr noch kam man der Nachfrage nach einer Zweitwohnung am Mittelmeer oder Atlantik entgegen, durch Angehörige der Mittel- und Oberklassen inner- wie außerhalb Spaniens, die entsprechend zahlungskräftig waren – oder die sich dafür hielten. Die durch Umweltrücksichten oder Landschaftsschutz kaum „angekränkelte“ Zersiedelung hat dazu geführt, dass die Küstenzonen an Mittelmeer und südspanischem Atlantik – eine Strecke von weit mehr als 1.000 km – über weite Strecken vollständig und insgesamt überwiegend zugebaut sind. Zunehmend erfasst dieser Siedlungsfraß auch inländische und bisher wenig berührte Landschaften.

Ein dritter Trend zur massiven Siedlungsausweitung hat zunächst die Wohnsituation breiter Bevölkerungskreise verbessert, ist aber gegenwärtig ein Hauptgrund dafür, dass Hunderttausende von Wohnungsverlust und teilweise Obdachlosigkeit bedroht sind. Die Wohnsituation vor allem der Arbeiterklasse war in der Ära der Franco-Diktatur und ihrer repressiven Niedriglohnpolitik sehr beengt, viele Familien lebten regelrecht zusammengepfercht in oft baufälligen Häusern. Zunächst Ersparnisse aus der seit den 50er Jahren zugelassenen Arbeitsemigration nach Westeuropa, später langsam steigende Löhne durch Arbeitskämpfe und vor allem nach der Demokratisierung des Landes 1977/8 ließen es in den Städten zu, sich in „pisos“, Wohnungen in mehrstöckigem Neubau, einzukaufen. Damit entstanden, in einem eher planlosen Urbanisierungsprozess, Großsiedlungen, welche binnen weniger Jahrzehnte die bebaute Fläche der spanischen Städte um ein Vielfaches ausgeweitet haben. Der anhaltende Bauboom wurde seitens der Banken durch Kreditvergaben ohne ausreichende Prüfung der Bonität angeheizt. Zusätzlich gespeist ist er durch eine in Spanien sehr verbreitete korrupte Verfilzung von Kommunalpolitik und Immobilienwirtschaft.

Unter den geschilderten Umständen war der Baubomm auf Dauer nicht lebensfähig und sein Zusammenbruch nur eine Frage der Zeit. Eine gesamtwirtschaftliche Kettenreaktion war angesichts der Dominanz des Bausektors nicht zu vermeiden. „La burbuja“ – so das im Land geflügelte Wort für die Immobilienblase – zeichnete sich bereits vor Jahren ab. Die PP-Regierung unter Aznar (1996-2004) hatte sie zusätzlich dadurch vorbereitet, dass sie fast alle planerischen Beschränkungen für Baugenehmigungen aufhob. So waren denn bereits 2005 195.000 Wohnungen nicht verkauft oder unverkäuflich. Dennoch wurden noch pro Jahr rund 800.000 Wohnungen neu gebaut, obwohl der Jahresbedarf auf maximal 300.000 geschätzt war. Erst im Jahr 2007 nahm die nunmehrige PSOE-Regierung die Bauliberalisierung zurück – zu spät, wie Zapatero in seiner Regierungserklärung Anfang Juli 2011 eingestand. Sein Kontrahent Rajoy von der PP hat allerdings angekündigt, nach seinem erwarteten Wahlsieg erneut jegliche Baubeschränkung aufzuheben: Krisen“bewältigung“ als Wiederholungszwang.

Der mit der „Blase“ zwangsläufige wirtschaftliche Rückgang ließ die Arbeitslosigkeit hochschnellen, noch verschärft durch die globale Finanzkrise ab 2009. Immer mehr Familien konnten die Kredite nicht mehr abzahlen und sind somit akut von Konfiszierung und Zwangsräumung aus ihrer Wohnung bedroht. Zugleich verschlechterte sich die Finanzbilanz der Banken dadurch, dass auch die Bauunternehmen insolvent geworden sind und ihre getätigten Kredite nicht abzahlen. Nach dem jüngsten EU-weiten Stresstest ist die Zahlungsunfähigkeit von 5 spanischen Banken zu befürchten – mit unvermeidlich schwerwiegenden Folgen für die betroffene Bevölkerung.

Der wirtschaftliche Niedergang Spaniens wird durch die Attacken des internationalen Finanzkapitals verschärft, ist aber in seinen Anfängen und im Kern hausgemacht. Das Desaster trifft – schon bei 45% Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe – vor allem junge Leute, die auch vorwiegend die vermutlich langjährigen Folgen auszubaden haben. Der gewaltfreie Aufstand vor allem der Jugend seit diesem Frühjahr ist daher mehr als verständlich und ein ermutigendes Zeichen. Sie nennen sich, nach der auch in Spanien viel gelesenen Streitschrift von Stephane Hessel, „los Indignados“ oder nach dem Datum der ersten Platzbesetzung in Madrid „Bewegung des 15. Mai“. In inzwischen zahllosen Städten praktizieren sie eine lebendige Versammlungsdemokratie, organisieren Widerstand gegen Zwangsräumungen von Hypotheken-belasteten Wohnungen und grenzen sich scharf den dominierenden Parteien PP und PSOE und einer stark in sich kreisenden politischen Klasse ab. Neben sozialpolitischen Forderungen wollen sie eine gründliche Reform des Wahlsystems, welche die geschlossenen Listen durch personenbezogene Wahl ersetzt und alle der Korruption verdächtigen Kandidaten ausschließt. Es ist zu hoffen, dass diese breite und im Volk sehr populäre Bewegung die spanische Gesellschaft – damit auch Politik und Wirtschaft im Land – gründlich verändert.

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