In memoriam Detlev Ipsen[1]
Summary
Bezüglich der Beteiligung und Mitwirkung der Öffentlichkeit hat die Gesetzesvorlage deutliche Mängel. Es wird daher zunächst vorgeschlagen, das Gesetz selbst als Vorgabe von Regeln zu definieren, die durch Lernprozesse im Suchverfahren veränderbar sind. Zum anderen wird eine Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu einer gleichberechtigten Mitwirkung der hierzu eingerichteten Gremien vorgeschlagen, die Mitentscheidungsrechte ausdrücklich einschließt. Dabei sollte der Auftrag der geschaffenen Regionalkonferenzen zu dem einer eigenverantwortlichen Erarbeitung von Zukunftsperspektiven erweitert werden. Eine starke Rolle öffentlicher Mitwirkung begründet sich auch aus den bleibenden Ungewissheiten von auf extreme Langfristigkeit angelegten Analysen und Prognosen der bestmöglichen Sicherheit untersuchter Standorte. Allerdings bleibt eine konstruktive Öffentlichkeitsbeteiligung aufgrund der Beibehaltung von Gorleben als möglichem Standort belastet. Es werden daher inhaltliche Gründe angeführt, die es für weit sinnvoller erscheinen lassen, auf die Option „Gorleben“ jetzt zu verzichten.
1. Das Endlager-Suchgesetz im Dilemma
Das Bundeskabinett hat auf seiner letzten Sitzung 2016, kurz vor Weihnachten, die Vorlage eines neuen Endlager-Standortauswahl-Gesetzes auf den Weg gebracht, genauer: ein „Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standorts für ein Endlager für Wärme entwickelnde Abfälle und andere Gesetze“. Die Bundesregierung tat das in ungewöhnlicher Weise, indem sie es als „Formulierungshilfe für einen aus der Mitte des Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes“ definierte.
Der Bundestag hat damit die Aufgabe, aus der Vorlage ein eigenes Gesetz zu erarbeiten und zu beschließen. Dabei drängt die Zeit, wenn die Sache nicht auf die kommende Wahlperiode, mit allen damit verbundenen Ungewissheiten und Unwägbarkeiten, vertagt werden soll. So bleibt für eine parlamentarische Beratung wohl nur eine kurze Frist bis etwa Ostern 2017. Für ein derart umfangreiches und komplexes Gesetz, das zudem Handlungsabläufe für Jahrzehnte und Sicherheitsgarantien bis zu einer Million Jahre vorsieht, ist das ein völlig unvertretbarer Zeitdruck.
Allerdings kann sich die Legislative darauf berufen, dass eine von ihr im Sommer 2014 eingesetzte Kommission Ablauf und inhaltliche Anforderungen an ein End(los)lager-Suchverfahren über zwei Jahre lang intensiv erarbeitet hat. Und so hält sich der Entwurf großenteils eng und streckenweise wortidentisch an die Vorgaben der Kommission. Jedoch hatte das Verfahren einen schweren Mangel, der mit dem jetzt auferlegten Zeitdruck noch schwerer wiegt: Denn sowohl in die vorbereitende Einsetzung wie in die laufende Arbeit der Kommission war die Öffentlichkeit nur höchst unzureichend einbezogen.
Das ist kein gutes Startzeichen für den Suchprozess und kann ihn insgesamt und dauerhaft belasten. Nicht von ungefähr zeichnet unser Land sich durch eine breite und seit Jahrzehnten aktive zivilgesellschaftliche Bewegung in der Atompolitik aus, mit Akteur*innen von zum Teil außergewöhnlicher Kompetenz. Wenn der Bundestag nun noch innerhalb von wenigen Monaten das endgültige Suchgesetz nach zwangsläufig kurzer Beratung und fehlender Konsultation der Öffentlichkeit beschließt, wird der Geburtsfehler, unter dem schon Einsetzung und Arbeit der Kommission zur Endlagersuche gelitten hat, weiter verschlimmert. Wie soll eine ja interessierte Öffentlichkeit von z.B.
- den detaillierten und komplexen Verfahrensregeln der Endlagersuche,
- den im Gesetz definierten Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen oder (insgesamt rund 100) Abwägungskriterien für geeignete Standorte,
- oder den zahlreichen Indikatoren zu Spezialfragen wie dem unterirdischen Wassertransport, der Form der Gesteinskörper oder gar der „Bildung von Fluidwegsamkeiten“,
jetzt zureichend Kenntnis nehmen können, abwägen, diskutieren, Alternativvorschläge machen, die doch aufgegriffen werden sollten? Es bleibt das ungute Gefühl, dass hier ein – zweifellos wichtiges und lange überfälliges – Gesetz an der Gesellschaft vorbei auf der Zielgeraden schnell durchgezogen wird.
Sollte also jetzt endlich eine breite und partizipativ gestaltetet Bürgerbeteiligung zur Gesetzesvorlage eingeleitet werden? Das würde allerdings zur Folge haben, dass die Verabschiedung eines Such-Gesetzes für mindestens zwei Jahre verschoben und im besten Fall erst in der nächsten Legislaturperiode stattfinden kann. Angesichts der Bedeutung und Dringlichkeit der nuklearen Endloslagersuche ist das nicht zu vertreten. Aufgrund vieler politischer Fehler – um die Machenschaften rund um Gorleben wertneutral zu formulieren – wurde der Beginn einer verantwortungsvollen Endlager-Suche schon viel zu lange verschleppt. Je länger dieser „Wartestand“ andauert, desto mehr verschieben wir die Lasten eines langjährigen Suchverfahrens und den noch längeren Prozess der Einlagerung hoch-radioaktiver Abfälle auf nachkommende Generationen.
Der gesamte Prozess der Standortsuche und der Einlagerung der Abfälle in ein ausgewähltes Endlager wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Damit muten wir zwangsläufig den heute Jugendlichen und den kommenden 2-3 Generationen die größten Risiken und großenteils auch die zu erwartenden Kosten der Endlagerung zu. Die Generationen der jetzt Erwachsenen, insbesondere der älteren Jahrgänge, waren zwar ebenso den Risiken der Energieerzeugung durch Kernspaltung ausgesetzt; jedoch haben sie davon profitiert und über Jahrzehnte die in Atomkraftwerken erzeugte Energie genutzt.
Es besteht somit ein deutliches Ungleichgewicht bezüglich der Generationengerechtigkeit: Die Belastungen werden zeitversetzt auf zukünftige Generationen verschoben, während die Vorgängergeneration(en) in den Genuss der damit entstandenen vorübergehenden Vorteile gekommen ist (sind), ohne sich – vom langjährigen Engagement einer aktiven Anti-Atombewegung abgesehen – um die Hochrisiko-Frage der nuklearen Entsorgung sonderlich Gedanken gemacht zu haben. Diese Generationenungerechtigkeit müssen wir im Auge haben, bevor wir für weitere zeitliche Verschiebungen plädieren.
Die bisherige Öffentlichkeitsbeteiligung ist unzureichend – eine Verschiebung des Suchgesetzes auf mindestens die kommende Legislaturperiode aber ist problematisch: Wie sollen wir mit diesem Dilemma umgehen? Mein Vorschlag ist:
- im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf müssen die Rechte der Bürgergesellschaft zur Mitwirkung und auch Mitentscheidung vor einer Beschlussfassung deutlich ausgebaut und verankert werden.
Und:
- das Gesetz selbst wird über eine noch zu findende Form – etwa eine Präambel mit gesetzlicher Bindewirkung – als das gegenwärtig erreichte Stadium in einem für Lernprozesse und Veränderungen offenen Suchverfahren definiert. Ergebnis von Lernprozessen unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft können dann in Gesetzesnovellierungen münden.
Es sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass inhaltliche Vorgaben im Gesetz, in Konsequenz intensiver Partizipation aus der Bürgergesellschaft, in der kommenden Zeit durchaus veränderbar sind und sein sollen. Das Suchverfahren sollten wir als einen gesellschaftlichen Lernprozess verstehen und betreiben, in dem anfangs feststehende Regeln und Kriterien über die, wenn auch verspätete Einbindung der Zivilgesellschaft korrigierbar sind. Es versteht sich, dass die Ergebnisse prozessualen Lernens zu Novellierungen im Gesetz führen. Wenn sich der Gesetzgeber zu einer solchen Form der Offenheit und Lernbereitschaft entschließt, sehe ich eine Chance gewahrt, ein Suchverfahren im gesellschaftlichen Konsens einzuleiten. Allerdings unter einer unabdingbaren Voraussetzung: die Bürgerbeteiligung findet als Mitwirkung auf Augenhöhe unter Einschluss des Rechts zur Mitentscheidung statt.
Wenn wir unter dieser Maßgabe die Gesetzesvorlage des Bundesregierung bewerten, ist das Ergebnis eindeutig: Sie ist
2. Zu kurz gesprungen
Zwar präsentiert sich der Entwurf zur Bürgerbeteiligung auf den ersten Blick anspruchsvoll:
„ Das zuständige Bundesamt für kerntechnische Entsorgung hat dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit frühzeitig, … umfassend und systematisch über die Ziele des Vorhabens, die Mittel und den Stand seiner Verwirklichung sowie seine voraussichtlichen Auswirkungen unterrichtet wird. Dies soll in einem dialogorientierten Prozess geschehen.“(§5(1).
Dazu hatte die Kommission eine durchdachte Systematik entwickelt, die sich im Gesetzentwurf so auch wiederfindet. Zur Vergegenwärtigung: Der Suchprozess gliedert sich in drei aufeinanderfolgende Phasen:
- obertägige Erkundung
- untertägige Erkundung
- Standortvorschlag
Für alle Phasen werden Regionalkonferenzen einberufen, in denen Kommunalpolitiker*innen, Vertreter*innen gesellschaftlicher Organisationen sowie Bürger*innen mitwirken. Die Mitglieder des Vertretungskreises werden aus Vollversammlungen in der jeweiligen Region gewählt. Die Regionalkonferenzen wiederum wählen nach einem bestimmten Schlüssel – 50% müssen gewählte Kommunalpolitiker*innen sein –die maximal 30 Mitglieder einer übergeordneten Fachkonferenz, den „Rat der Regionen“.
Zusätzlich wird ein nationales Begleitgremium eingerichtet, das den Ablauf des gesamten Verfahrens begleitet und dabei insbesondere auf die Regelungen einer angemessenen Bürgerbeteiligung zu achten hat. Die Mitglieder dieses Gremiums wurden bereits nominiert.
Soweit das Konzept im Telegrammstil. Schauen wir uns die Regelungen der Bürgerbeteiligung näher an: Die Formen der Mitwirkung von Bürgern, Gemeinden und gesellschaftlichen Organisationen sind zwar durchaus vielfältig und das Bemühen um Transparenz erkennbar, die inhaltlichen Entscheidungen und Beschlüsse bleiben jedoch ausschließlich dem Bundesamt und den von diesem Amt konsultierten Beratern vorbehalten. Alle Vorschläge, Einwände, Alternativen, die aus der Zivilgesellschaft eingebracht werden, sind zwar „zu berücksichtigen“, wie das im eingespielten Amtsdeutsch immer noch heißt, doch es steht dem Amt frei, sie zu übernehmen, zu verändern oder – im Konfliktfall ist das die Regel – sie insgesamt zu verwerfen. Mit dieser Einbahnstraße der „Mitwirkung“ sind Bürgerbeteiligungen in Konfliktfällen seit nunmehr Jahrzehnten überwiegend gescheitert oder im Sande verlaufen; bei dem höchst konfliktträchtigen und für das Leben der Menschen sehr einschneidenden Verfahren der Endlagersuche ist das nahezu vorprogrammiert.
Keine Erwähnung findet im Entwurf zudem ein zentraler Auftrag an die Regionalkonferenzen, der im AK End aus wohl erwogenem Grund entwickelt wurde: Nämlich die Erarbeitung von Zukunftsperspektiven in den und für die Regionen, die für eine nukleare Endlagerung ernsthaft in Betracht kommen. Der Bau eines Endlagers und vorgeschaltet des Eingangslagers, die hundert-, wenn nicht tausendfachen Transporte durch die Region, die insgesamt damit verbundenen Risiken und drohenden Einschränkungen fordern den dort lebenden Menschen viel ab. Ihre Sorge um eine niedergehende Zukunft der Region ist berechtigt, die damit erwartbare Abwehrhaltung kann nur überwunden werden, wenn das Thema Endlager mit einem überzeugenden regionalen Entwicklungskonzept verbunden wird. Die Erarbeitung dieses Konzepts kann und sollte in erster Linie von AkteurInnen aus dem Gebiet geschehen und breit in der Region diskutiert und – unter Zusagen der dazu erforderlichen zentralstaatlichen Unterstützung – beschlossen werden. Detlev Ipsen hatte dazu die Einrichtung von Bürgerforen, unterstützt durch ein Kompetenzzentrum, beides wohl im Rahmen der Regionalkonferenz, vorgeschlagen[2].
Im Gesetzentwurf findet sich dazu de facto nichts. Erwähnt wird lediglich, dass „sozioökonomische Potentialanalysen“ – was immer das bedeuten mag – in Auftrag gegeben werden sollen. Wem und wozu das dienen soll, bleibt unklar. Nicht die Region selbst soll diese Aufgabe wahrnehmen, sondern das von seinem Fachzuschnitt dafür ungeeignete Bundesamt. Die Regionalkonferenzen erhalten lediglich die Gelegenheit, zum Ergebnis der Analysen Stellung zu nehmen (§10(4). Warum die Erarbeitung regionaler Entwicklungsperspektiven von außen und von oben herab geschehen soll, statt in und aus den Regionen mit ihren vielen Akteur*innen und Kommunalpolitiker*innen selbst, ist unerfindlich.
Ein dritter Schwachpunkt im Gesetzentwurf sind Unklarheiten über die Einbeziehung der Bürgergesellschaft insgesamt. Zwar besteht die Regionalkonferenz formell aus einer Vollversammlung und einem inhaltlich arbeitenden Vertretungskreis. Welche Rolle die Vollversammlung, zu der alle das Zutrittsrecht haben spielt und wie sie agieren kann und soll, bleibt unklar. De facto beschränkt sich die Mitarbeit und aktive Beteiligung in den Regionen zunächst auf die 30 Mitglieder der eingerichteten Regionalkonferenzen. 10 Personen sollen aus unerfindlichen Gründen vom Bundesamt aus den Kommunalparlamenten nominiert werden. Warum, wie doch bei demokratischen Prozeduren dieser Art immer üblich, die kommunale Gremien ihre Vertreter nicht selbst wählen sollen, ist unverständlich. Die Mehrheit, nämlich 20 Mitglieder, werden von der regionalen Vollversammlung gewählt. Ob und in welcher Weise sich die betroffenen Menschen, z.B. durch Gespräche mit „ihren“ Vertretern in der Konferenz inhaltlich einmischen können, bleibt im Dunkeln und letztlich der Beliebigkeit anheim gestellt. Auch eine Rechenschaftspflicht, Wahlbestätigung oder Neuwahl der Regionalvertretung gegenüber der Vollversammlung ist nicht vorgesehen. Der Weg zu eher freischwebenden „Bürgerspezialisten“ in der Konferenzrunde scheint so vorprogrammiert.
Mit dem herkömmlichen Konzept der (lediglich:) Beteiligung der Bürger, ohne dass diese am Entscheidungsprozess als solchem mitwirken, hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten gerade im Fall konfliktträchtiger Planungen gründlich schlechte Erfahrungen gemacht. Im Suchverfahren für ein nukleares Endlager wird das angesichts der massiven Eingriffe in den Lebensalltag der betroffenen Regionen erst recht der Fall sein. Wer das Suchverfahren so organisiert, muss auch davon ausgehen, dass es in schwerwiegende und nicht auflösbare gesellschaftliche Dissense führen wird und im übrigen die berühmt-berüchtigte „not in my backyard“ Haltung geradezu provoziert.
3. Von der Beteiligung zur Mitwirkung
Wenn wir unstrittig wichtige und einschneidende Jahrhundertprojekte wie die Suche nach einem Endlager nicht gegen, sondern mit der Zivilgesellschaft realisieren wollen, führt kein Weg daran vorbei, die betroffenen Menschen auch in den Gestaltungs- und Entscheidungsprozeß zu integrieren. Die Bevölkerung muss wissen, dass sie, bzw. von ihr dazu eigens gewählte Vertreter, das Verfahren und seinen Verlauf mitbestimmen sowie dass sie auf die Ergebnisse Einfluss hat. Der Ablauf des Verfahrens muss, die Akteure aus der betroffenen Region einschließend, kooperativ und „deliberativ“ (Jürgen Habermas) angelegt sein. „Deliberativ“ meint, dass in einem Dialogprozess unter anerkannt Gleichwertigen die Gründe für bestimmte Vorschläge abgewogen, hinterfragt, bestätigt oder ggf. verworfen werden. Jeder hat das Recht gehört zu werden, aber niemand das Recht, sich vorgebrachten Gründen zu entziehen, es sei denn er/sie macht Gegengründe geltend, die wiederum deliberativ abzuwägen sind. Natürlich macht der skizzierte Ansatz einer deliberativen, auf Konsensfähigkeit zielenden Kommunikation[3] „nur“ idealtypisch klar, wie wir uns Ablauf und Zielführung einer Bürgerpartizipation mit Ergebniswirksamkeit vorzustellen haben.
Der Ansatz einer solchen Partizipation auf Augenhöhe wurde Anfang des Jahrhunderts im AkEnd (Arbeitskreis Endlagerverfahren) diskutiert. Es überrascht und befremdet, dass sowohl die Endlager-Kommission wie der vorliegende Gesetzentwurf davon stillschweigend abgegangen ist. Allein dieser Schwachpunkt rechtfertigt das „nein“ des BUND-Vertreters zum Kommissionsbericht (und ist von Herrn Brunsmeier in seiner Begründung auch angesprochen worden). Wenn wir ernsthaft wollen, dass die Endlagersuche in einem zumindest weitgehenden Konsens betrieben und zu einem erfolgreichen Ende geführt wird, kann die Bürgergesellschaft nicht nur irgendwie beteiligt, sondern es muss ihr die Übernahme von Verantwortung zur Lösung der schwierigen Aufgabe zugemutet werden. Die Bereitschaft dazu setzt aber zwingend voraus, dass die angesprochenen Menschen am Prozess mitwirken und in allen wichtigen Phasen auch mitentscheiden.
Allerdings bleibt die Gefahr, dass sich die Partizipation auf den vergleichsweise kleinen Kreis der Konferenzmitglieder, des nationalen Begleitgremiums und einschlägig zum Thema Engagierter beschränkt. Um dieses Risiko zu verringern, sollte die Einrichtung der jeweiligen Regionalkonferenz um periodisch tagende und mit Mitteln eigener Öffentlichkeitsarbeit ausgestattene Bürgerforen ergänzt werden. Zu diesen Foren hat prinzipiell jede/r Bewohner*in der Region Zugang und natürlich Rederecht. Auch sind die Mitglieder der Regionalkonferenz dem Bürgerforum rechenschaftspflichtig und das Forum hat die Möglichkeit, ihre Vertreter abzuberufen und durch andere zu ersetzen.
Für den Bundestag, der alle drei Phasen im Suchprozess mit einem gesetzeswirksamen Beschluss abschließen soll, vereinfacht sich im übrigen die Sache. Wenn Bundesamt, Fachleute und Akteure der Zivilgesellschaft im deliberativen Prozess zu einem gemeinsamen Vorschlag kommen, kann und sollte das Parlament das Ergebnis nur noch absegnen. Wirklich gefragt ist der Bundestag erst, wenn trotz aller Bemühungen im Ergebnis ein Dissens, also ein unterschiedlicher Vorschlag aus einerseits dem Bundesamt, andererseits den Regionalkonferenzen bzw. dem Rat der Regionen vorliegt. Erst dann tritt der Fall einer echten Legalplanung ein: Der Bundestag muss in einem gesellschaftspolitisch kontroversen Fall entscheiden. Nach dem Beteiligungsmodell im bisherigen Gesetzentwurf wird der Fall voraussichtlich immer so eintreten. Sollte das bei einem Suchverfahren mit dem vorgeschlagenen partizipativen Ansatz auch der Fall sein, so wäre dieser in seiner Zielsetzung ebenfalls gescheitert. In beiden Fällen wäre jedoch die pure Legalplanung die denkbar schlechteste Lösung. Denn natürlich wird die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten nicht einmal über die annähernde Sachkompetenz verfügen, die sich die Akteure der Zivilgesellschaft im jahrelangen Verfahren angeeignet haben. Die Entscheidung des Bundestags wird daher zwar legal, formal rechtmäßig sein, dürfte jedoch in weiten Kreisen der Gesellschaft nicht als inhaltlich legitim, sondern als aufoktroyiert gewertet werden. Hinzukommt, dass die Abgeordneten selbst, als gewählte Vertreter*innen aus einer Region, kaum in der eigentlich gebotenen Neutralität, sondern geleitet von spezifischen Interessen oder schlicht aus Fraktionsdisziplin abstimmen werden.
Was hat die End(los)lagerkommission in ihrer großen Mehrheit bewogen, vom partizipativen Konzept abzurücken, das der AkEnd nach intensiven Diskussionen 10 Jahre zuvor vorgeschlagen hatte? Möglicherweise war ein zu großes Vertrauen in Validität und Zuverlässigkeit der naturwissenschaftlichen Analysen mit ausschlaggebend. Was tun, wenn in einer Erörterungsrunde zur Endlagerung die anwesenden Bürger*innen – von Beruf Handwerker, Lehrer oder Bankangestellte, – für die Option A streiten, anwesende Geologen und Ingenieure hingegen für Option B? Sollte dann Option B den entscheidenden Vorrang der Objektivität haben, wogegen Option A im Verdacht steht, von sachfremden Interessen geleitet zu sein? Was den Wahrheitsanspruch der Experten betrifft, gilt jedoch immer und im schwierigen Fall der bestmöglichen Sicherheit eines Endlagers:
4. It ain`t necessarily so,
wie das Gershwin in seiner Oper Porgy and Bess, in einem bekannten Lied auf die christlichen Glaubensgewissheiten der afro-amerikanischen community münzt. Für Gewissheiten in der scientific community trifft das in ähnlicher Weise zu. Die wissenschaftstheoretische Debatte hat den Glauben an objektive, nicht jederzeit zur Revision stehende Wahrheiten seit langem verabschiedet. Sie empfiehlt für jede Prognose, insbesondere solche in die fernere Zukunft, weniger nach naheliegenden Bestätigungen zu suchen, sondern sich intensiv um kritische Überprüfung und mögliche Widerlegungen zu bemühen. In aller Regel findet diese Überprüfungen nicht im einsamen Forschermilieu statt, sondern in der schriftlich wie mündlich geführten Debatte unter Fachkollegen.
Der auf selbstkritischer Intersubjektivität basierte Geltungsanspruch wissenschaftlicher Thesen gilt für die auf Endlagerung bezogene Forschung in ganz besonderer Weise. Wer hier an unumstößlicher Objektivität festzuhalten geneigt ist, wird schnell eines Besseren belehrt, wenn er sich etwa die Kontroversen um einschlusswirksame Gebirgsbereiche genauer ansieht. Die Annahmen zur Eignung von kristallinem Gestein , von Tonschichten oder von Salzkörpern unterscheiden sich innerhalb der Wissenschaft erheblich. Dass es hier zu einer deckungsgleichen, konsensualen Einschätzung kommt, ist in keiner Weise zu erwarten. Erst recht nicht gilt das für die rund 100 Abwägungskriterien, die von der Kommission zur Einschätzung der Eignung von Standorten erarbeitet, und die im Gesetzentwurf bruchlos übernommen wurden. Wie sollen diese vielen Kriterien nun im konkreten Abwägungsfall angewendet, wie vor allen Dingen gewichtet werden? Anzunehmen, dass die hierzu konsultierten Experten zu einer konsensualen Empfehlung kommen, ist lediglich ein frommer Wunsch. Vielmehr ist bei scheinbarem Konsens zu befürchten, dass dem irgendein Kuhhandel, sprich interessierte Vorabsprachen vorausgegangen sind.
Alle Langfristprognosen zur bestmöglichen Sicherheit in der nuklearen Endlagerung sind mit einem unaufhebbaren Schleier der Ungewissheit und Unsicherheit behaftet. Anzunehmen, wir wüssten gegenwärtig mit auch nur annähernder Sicherheit, wie sich der Planet Erde innerhalb der geforderten eine Million Jahre entwickelt und verändert, ist vermessen . Erst recht trifft das für die Entwicklung des kollektiven Hauptakteurs im Prozess, der Menschheit und der menschlichen Gesellschaften zu. Im Jahr 1900 bestand ein beliebtes Gesellschaftsspiel darin, sich das Leben der Menschen im Jahre 2000 vorzustellen. Hundert Jahre später war es ein Gesellschaftsspiel, sich über die Fehleinschätzungen von dunnemals lustig zu machen.
Wird das mit Prognosen in die ferne Zukunft anders ausfallen? In einer Zeit, in der sich technische, soziale und kulturelle Veränderungen beschleunigen und existentielle Risiken wie der Klimawandel, hochgerüstete Waffensysteme, freigesetzte gentechnische Organismen und schleichende Vergiftungen in schwer abschätzbarem Ausmaß erhöhen? Wer ist so vermessen, die gesellschaftlichen Entwicklung in Hundertausenden von Jahren überhaupt zu denken? Vielleicht können wir im Fall der Endlagerung Fragen der gesellschaftlichen Veränderung und Hochrisiken dadurch ausweichen, dass die hochradioaktiven Stoffe ja unterirdisch außer Sicht- und Reichweite gelagert sein sollen. Aber können wir da sicher sein? Allein aufgrund der rasanten Entwicklung der Informationstechnik in nur 20 Jahren kommen Zweifel auf, wenn wir derartige Veränderungspotentiale auf die hier relevanten Zeiträume von mindestens Jahrtausenden interpolieren.
Wenn die wissenschaftlichen Aussagen etwa über das langfristige Verhalten von Gesteinskörpern, zusätzliche Sicherungen oder Sicherheitsmängel, Veränderungen der Erde über lange Zeiträume, z.B. durch den Klimawandel von bleibender Unsicherheit sind, dann macht es keinen Sinn mehr, im Prozess der Endlagersuche zwischen den Experten, denen letztlich zu folgen ist, und den Bürger*innen, die zwar intensiv aber eben nur: beteiligt werden, zu trennen. Der Prozess der Endlagersuche muss im umfassenden Sinn deliberativ gestaltet sein, mit dem ausdrücklichen Ziel, zu Entscheidungen zu kommen, die gemeinsam getragen werden. Dann sind aber, wie nochmals dringend vorgeschlagen, die Akteure aus der Zivilgesellschaft nicht nur beteiligt, sondern mit-entscheidend.
Natürlich: Eine Mitwirkung auf Augenhöhe garantiert nicht den erfolgreichen Verlauf einer Endlagersuche. Aber: Mit einer Bürgerbeteiligung wie gehabt würde das Vorhaben mit ziemlicher Sicherheit scheitern. Vielleicht wird ein Standort dann gegen heftige Proteste mit der nötigen Parlamentsmehrheit durchgesetzt und gesetzlich abgesichert. Aufgrund des zu befürchtenden massiven Widerstands sehe ich jedoch eine gefährliche Alternative: Sich des Problems der nuklearen Entsorgung durch Export in ein anderes Land zu entledigen, das für hohe Geldzahlungen aufnahmebereit ist[4]. Das wäre dann tatsächlich der Supergau in der Endlagersuche, den es durch ein auf Konsensfähigkeit zielende echte Partizipation präventiv zu vermeiden gilt.
5. Der Streitfall Gorleben
Die Mitwirkung gerade einer in Atompolitik engagierten Öffentlichkeit wird aller Voraussicht nach durch den Streitfall Gorleben belastet bleiben. Kaum jemandem, die oder der die krassen politischen Manipulationen und Machenschaften der letzten Jahrzehnte verfolgt hat und über die erkennbaren geologischen Nachteile dieses willkürlich gewählten Standorts orientiert ist, wird einleuchten, dass Gorleben weiter „im Rennen“ bleiben soll. Der Gorleben-Konflikt wird so den Suchprozess auf Jahre begleiten und insbesondere die Mitwirkung der Öffentlichkeit schwierig gestalten. Ein konstruktives und zielführendes Miteinander wird damit zumindest ziemlich erschwert. Dafür, jetzt einen Schlussstrich unter „Gorleben“ zu ziehen. Dafür sprechen auch die folgenden Überlegungen:
Wenn der Gesetzgeber heute den Standort Gorleben eindeutig ausschließt, ist das im langwierigen Prozess der Standortentscheidung nicht unumstößlich festgelegt. Eine heute gewählte Volksvertretung hat weder das Recht noch die Möglichkeit, Parlamente späterer Jahrzehnte mit seiner jetzigen Entscheidung zu binden. Der Bundestag kann zukünftigen Volksvertretungen nicht verbieten, diese Regelung, und sei es aus verwerflichen Gründen, wieder aufzuheben.
Zum zweiten: Jetzt daran festzuhalten, dass Gorleben prinzipiell weiter im Spiel bleibt, vergiftet in den kommenden mindestens 10 Jahren den Suchprozess, ohne dass die Offenheit in diesem Punkt praktische Folgen hat. In der nächsten Zeit ist zu klären, wo in Deutschland überhaupt Gegenden prinzipiell in Frage kommen. Dazu wird im Wendland kein Finger gekrümmt. Dass sich dort ein Salzstock befindet, ist wirklich hinlänglich bekannt.
Auch für die Phase eins, die obertägige Erkundung, werden keine Messtrupps in das Gebiet des Gartower Waldes geschickt. Wie sich dort die geologischen Verhältnisse, von der Oberfläche aus recherchiert, gestalten, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Gorleben käme überhaupt erst ins Spiel, wenn es wirklich ernst wird, nämlich in Phase 2. Für welche vielleicht nur 2-3 Gebiete entscheidet man sich in der Finalrunde und startet dort die sehr aufwendigen unterirdischen Prüfungen? Am Standort Gorleben wurde bereits über Jahre aufwendig gesucht und in einem vielfach heftig kritisierten Schwarzbau ein Endlager-Standort weitgehend errichtet. Daher hätte Gorleben schon aus jetziger Sicht gute „Chancen“, in die Finalrunde der Endlagersuche einzuziehen. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt der Standort Gorleben eine wenngleich nur mögliche Option bleibt, impliziert das zwangsläufig, dass er für die entscheidende Phase zwei ernsthaft in Betracht kommt. Damit wird sich das Verfahren der Endlagersuche von Beginn an den Mühlstein eines Dauerkonflikts mit der Anti-Atombewegung im Land an den Hals hängen.
Auch aus politischer Sicht ist das kurzsichtig und unklug. Erst recht und zum dritten, weil nicht zu sehen ist, wer denn gegenwärtig außer unverdrossenen Hardlinern der alten Atomlobby am Standort Gorleben ernsthaft festhält. Die Hauptbefürworter von Gorleben waren die Atomkonzerne, zum einen, weil sie damit auf ernsthaftes Bemühen um Entsorgungsvorsorge verweisen und auf diese Weise den Weiterbetrieb ihrer Kraftwerke sichern konnten. Mit dem Atom-Ausstieg bis spätestens 2022 entfällt das. Zum anderen wollten sie die bisherigen Aufwendungen für Gorleben – deutlich mehr als eine Milliarde Euro – nicht umsonst geleistet haben. Dieses Problem haben sie nicht mehr seit dem Bundestags-Beschluss vom 16. Dezember, dem Gesetz zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, mit dem die Konzerne nach einer pauschalen Einzahlung von 23,6 Mrd. € mit der Finanzierung der Endlagerung nichts mehr zu tun haben.
[1] Detlev Ipsen, Hochschullehrer in Kassel, war einer der prägenden Akteure des Arbeitskreises Endlagerstandorte. Er vor allem hat den Ansatz einer partizipativen Öffentlichkeitsbeteiligung geprägt, an den mein Artikel anknüpft. Vielleicht wäre die Endlager-Kommission zu anderen Ergebnissen gekommen, wäre Detlev Ipsen nicht unerwartet im Februar 2011 gestorben. Daher die Widmung.
[2] D.Ipsen, Regionalentwicklung am Standort für ein atomares Endlager. Vortag auf dem fachgespräch der Landtagsfraktion B`90/Die Grünen, Hannover, 2.12. 2003.
[3] Die Endlager-Such-Kommission hat sich ausführlich mit ökophilosophischen und zukunftsethischen Aspekten des Vorhabens auseinandergesetzt. Um so mehr befremdet es, dass sie Überlegungen des weltweit anerkannten Sozialphilosophen Jürgen Habermas aus Europa nicht aufgegriffen hat.
[4] Hier gibt es im übrigen Verbesserungsbedarf im Gesetz-Entwurf der Bundesregierung: Der Ausschluss der Exports nuklearer Abfälle ist in §1(2) sehr zurückhaltend formuliert und sollte zu einem ausdrücklichen und ausnahmslosen Exportverbot verschärft werden.