Das Nature Restoration Law und Berlin

Ideen zu seiner Umsetzung in Berlin

Hartwig Berger, Juli 2024 (als PDF)

 Vorbemerkung:

Nach einem langen und konfliktreichen Vorlauf gilt ab dem 17. Juni als verbindliche EU-weite Richtlinie das Nature Restoration Law, das Gesetz zur Wiederherstellung von Natur. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat konnten sich in einem Trilog Verfahren schlussendlich auf das NRL in einer allerdings abgeschwächten Form einigen. Der Begriff „Wiederherstellung“ ist wörtlich zu nehmen. So sind nur mehr 15% der Lebensräume in der EU in einem guten Natur-Zustand – und diese Verschlechterung ist insgesamt weiter eher anhaltend. Seit 1991 sind 30% der Schmetterlinge, im selben Zeitraum 36% der Feldvögel und 38% der Fische zurückgegangen[1].

Das Gesetz verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu Maßnahmen, mit denen bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der EU und bis 2050 degradierte Ökosysteme wiederhergestellt werden. Mit ihm sind alle Mitgliedsländer gehalten, bis 2026 nationale Wiederherstellungspläne zu erarbeiten. Die Pläne sollen verbindlich darlegen, mit welchen Maßnahmen, in welchem Zeitrahmen und auf welcher wiederherzustellenden Gesamtfläche die im NRL vorgesehenen Ziele zunächst im ersten Schritt bis zum Jahr 2030 verwirklicht werden.

Zweifellos ist das ein anspruchsvoller Zeitplan. Um der Gefahr einer Verschleppung zu entgehen, die sich etwa am Schicksal Fall der bereits im Jahr 2000 erlassenen EU-Wasserrahmenrichtlinie verfolgen lässt, gilt es, bereits hier und jetzt den Umsetzungsdruck zu erhöhen. Wir können uns einen weiteren Niedergang der natürlichen Lebensräume in der EU, in unserem Land, in unserer Region nicht leisten; wir müssen den Prozess der fortgesetzten Degradierung der Natur umgehend umkehren. Für Berlin als Stadt und Bundesland sollten wir daher nicht auf die Vorlage eines nationalen Widerherstellungsplan zu warten, sondern schon jetzt mit einer Umsetzung von Vorgaben des Nature Restoration Law beginnen.

Dieser Vorlauf eröffnet auch eine Chance, denn es stellt sich stark urbanisierten EU oft die Frage, wie eine Wiederherstellung der Natur in Städten in urbanen Verflechtungsräumen mit Sinn und Erfolg durchführbar ist. Ein weiterer Gesichtspunkt ist dabei, dass mehr Natur in der Stadt mit den drängenden Aufgaben einer Klimaanpassung, einer verbesserten Lebensqualität und dem Gesundheitsschutz[2] für die Bewohner*innen zusammengeht.

Die folgenden Vorschläge sind entwickelt, um Debatte und Arbeit an einem Wiederherstellungsplan natürlicher Lebensräume in Berlin voranzubringen:  

Das NRL verpflichtet jeden Mitgliedsstaat dazu, spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes   einen nationalen Renaturierungsplan vorzulegen, der von einem ergebnisoffenen konsultativen Prozess in der Gesellschaft begleitet ist. Dabei stellt sich immer die Frage, wie ein solcher Plan und entsprechende Maßnahmen in Städten und in stark urbanisierten Ballungsräumen aussieht:

Als generelles Leitziel und Flächenvorgabe legt das NRL fest, dass bis zum Jahr 2030 auf 20% der Fläche Berlins Renaturierungsmaßnahmen durchzuführen sind. Das entspricht im Fall Berlin einer Fläche von 178 km².  Allerdings haben sowohl die EU wie insbesondere Deutschland das historische Biodiversitätsabkömmen von Montreal von Dezember 2022 ausgehandelt und ihre Unterstützung in der Umsetzung zugesichert.  Es sieht Schutz und Wiederherstellung auf 30% der Landfläche und 30% der Meeresfläche vor. Demnach sollten wir uns, um nicht unglaubwürdig zu werden, auch in Berlin an dieser Zielvorgabe orientieren. Das entspricht dann einer Fläche von 261 km².

Welche Möglichkeiten hat Berlin, die Vorgaben der EU -Richtlinie und des Montreal Abkommen zu realisieren? Vorschläge und Überlegungen dazu stelle ich im folgenden dar für

  1. Natura 2000 Gebiete
  2. Die Berliner Wälder
  3. Landwirtschaft
  4. Gewässer
  5. Straßenbäume
  6. Urbane Ökosysteme
  7. Finanzierung?

 

 

  1. Natura 2000 Gebiete

Das Teufelsmoor im Köpenicker Wald

Das Teufelsmoor im Köpenicker Wald
Foto: H. Berger, 2024

Zunächst sind sämtliche (unter europäischen Naturschutzvorgaben stehenden) Natura 2000 Gebiete zu nennen, mit 15 Fauna-Flora-Habitat-Gebieten (FFH) und fünf Vogelschutzgebieten, auf einer Gesamtfläche von ca. 6.300 Hektar – das entspricht etwa 7 Prozent der Landesfläche. Das NRL verpflichtet dazu, Maßnahmen in diesen Gebieten zu priorisieren. Daraus erwächst für Berlin die Verpflichtung, die Naturqualität und die Biodiversität in sämtlichen dieser Gebiete bis zum Jahr 2030 merklich und sichtbar zu verbessern. Berlin wird also ab jetzt die bisherige ganz überwiegend auf „Konservierung“ ausgerichtete Schutzstrategie verändern müssen und zielgerichtet Verbesserungen in den Natura 2000 Gebieten einleiten müssen. 

Dazu gehören:[3]

  • Eine Evaluierung bisheriger Maßnahmen und ein anschließendes regelmäßiges Monitoring der Gebiete;
  • die Nutzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Anpassung der Maßnahmen und
  • eine Aktualisierung der Managementpläne.

In jedem Fall ist es dafür unabdingbar, den Personalbestand und die finanziellen Ressourcen für diese Arbeit der Natura-2000-Wiederherstellung deutlich zu vergrößern. Dem vergleichbar sollten auch Schutz und Pflege der Landschaftsschutzgebiete, der   Flächenhaften Naturdenkmale und der gesetzlich geschützten Biotope optimiert werden. Es versteht sich, dass die Fremdnutzung dieser Schutzgebiete z.B. durch Windenergie-, Solar-, Fotovoltaik- oder andere technische Anlagen auszuschließen ist.           

  1. Die Berliner Wälder

Berliner Prozessschutzwald, Naturpark Barnim

Berliner Prozessschutzwald, Naturpark Barnim
Foto: H. Berger, 2022

Die Berliner Wälder nehmen innerhalb der Stadtgrenze 18% der Fläche ein, mit den extern gelegenen Wäldern sogar 30% der Fläche, die Berlin umfasst. Wie könnten sie in einem Renaturierungsplan Berücksichtigung finden?  Wir reicht hier nicht, nur auf die in Waldgesetz und Waldbaurichtlinie verankerte naturnahe Waldpflege zu setzen. Das NRL zielt auf ein „mehr“ an Aktivitäten zur Wiederherstellung der Wälder. Ich sehe da drei Wege:

  • Berlin kann das Mischwaldprogramm als eine NRL-Aktivität deklarieren. Mit ihm werden die Widerstandsfähigkeit des Waldes gestärkt, sein Wasserhaushalt verbessert und in der Förderung der biologischen Vielfalt Erfolge erzielt. In der gegenwärtigen Debatte um dieses Programm ließe sich ein sinnvoller Kompromiss erzielen, wenn Berlin die Mischwaldumwandlung auf stark verdichtete Kiefernreinkulturen beschränkt und die bisherige Ausweitung auf Kiefernwald mit bereits nachwachsenden Laubbäumen einem Klärungs- und Einigungsprozess unter Forstleuten und Forstwissenschaftlern in den nächsten Jahren überlässt[4]. Wenn wir die bisherige Planung für 2024/5 zugrunde legen, entspricht das bis zum Stichjahr 2030 des NRL einer Fläche von rund 800 ha[5], weniger als 1% der Gesamtfläche Berlins.
  • Ein zweiter Renaturierungsweg sind gezielte Ökologisierungsstrategien, auf die seit Jahren vom Sachverständigenrat für Naturschutz und Landschaftspflege und den Umweltverbänden in Berlin gedrungen wird. Dazu gehören[6]

der konsequente Erhalt von Altbäumen, auch von abgestorbenen Altbäumen,

eine Verstärkung des Anteils von Totholz im Wald,

das Freistellen und Entkusseln der Waldmoore,

Auflichtung, Erhaltung und Schaffung kleinflächiger Offenflächen um dort Raum für mehr biologische Vielfalt zu geben,

die  Entwicklung von Krautsäumen und reich strukturierten Waldrändern.

Dabei sollte die Arbeit der Berliner Forsten  durch ein Biologenteam ergänzt werden, welches           Planung und Durchführung der Maßnahmen begleitet.

Eine dritte Möglichkeit eröffnet die Ausweisung von Prozessschutzwäldern, also Wäldern, die ihrer eigenen Entwicklung unter Verzicht auf jegliche forstliche Eingriffe überlassen werden. Berlin hat sich mit der Zertifizierung durch den Forest Stewartship Council (FSC) und Naturland dazu verpflichtet, insgesamt 10% seiner Waldflächen unter Prozessschutz zu stellen. Allerdings sind die sich überlassenen Wälder keineswegs „unberührt“, vielmehr sondern stark durch anthropogene Einwirkungen beeinflusst. Das gilt insbesondere für Berlin mit seinen über Jahrzehnte akkumulierten Einträgen aus Kohle-Kraftwerken, motorisiertem Verkehr und Industrie[7]. Auch deshalb ist diese Form der Renaturierung nur glaubwürdig, wenn Berlin sie mit einem kontinuierlichen Monitoring zu Zustand und Entwicklung der Wälder verbindet.

  1. Landwirtschaft

Rieselfelder der Stadtgüter bei Wansdorf

Rieselfelder der Stadtgüter bei Wansdorf
Foto: H. Berger, 2023

Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind ein weiterer Handlungsraum für das NRL. Zum einen betrifft das die LW innerhalb Berlins, bei einem Umfang von 2% der Landesfläche; vor allem aber die außerhalb liegenden Stadtgüter, mit einem Flächenumfang von 17.000 ha, von denen 13.700 ha landwirtschaftlich genutzt werden, ganz überwiegend „konventionell“.  Bisher wird m. W. nur das Stadtgut Lanke mit 600 ha biodynamisch betrieben.

Eine Umwandlung großer Teile der Stadtgüter in ökologische wie in regenerative Landwirtschaft drängt sich somit geradezu auf, verbunden mit gezielter Verbesserung der Böden und einer  verbindlichen Optimierung von Arten- und Biotopschutz. Da die Pachtverträge mit den Stadtgütern fast durchweg über Jahrzehnte geschlossen wurden, gelingt das in der Regel nur im Aushandlungsprozess mit den Pächtern.

Doch bieten sich auch bei fortbestehender „konventioneller“ Nutzung Handlungsoptionen im Sinne einer Wiederherstellung von Natur. Besonders perspektivenreich ist hier das Vorhaben der Stadtgüter, auf den insgesamt 1.600 ha stark degradierten organischen Böden, ehemaligen Mooren, diese wieder zu vernässen und schrittweise zu renaturieren. Das wäre ein mögliches Vorzeigeprojekt des Berliner NRL-Plans im Bereich Landwirtschaft, zumal es in den vom Bundes-Umweltministerium ausgehandelten Finanzfonds natürlicher Klimaschutz integrierbar scheint. 

Weitere Chancen der Renaturierung bieten sich auf den Stadtgütern generell mit einem Rückbau von Entwässerungsgräben[8] oder der Wiederherstellung von Stauanlagen[9], beides zum Vorteil für die Natur wie für die Landwirtschaft, wie erste Projekte in Brandenburg bezeugen.

Auch können mit Betrieben auf Flächen der Stadtgüter zumindest partielle regenerative Maßnahmen verhandelt werden, welche die Bodenqualität erhöhen und die eher zu einer dem Artenschutz angemessenen Bewirtschaftung führen. Analoges gilt für die innerstädtischen landwirtschaftlichen Betriebe.

Schließlich bieten sich die nicht bewirtschafteten und belasteten ehemaligen Rieselfelder für Renaturierungsmaßnahmen in Verbindung mit Klarwasserberieselung aus Klärwerken der Berliner Wasserbetriebe an[10]. Exemplarisch wird das seit längerem und mit eindrucksvollen Resultaten in Hobrechtsfelde unter Federführung der Berliner Forsten durchgeführt.

  1. Gewässer

Röhrichtbestand an der winterlichen Havel

Röhrichtbestand an der winterlichen Havel
Foto: H. Berger, 2022

Bezüglich der Berliner Gewässer ist das NRL Anlass und Verpflichtung, die lange ausstehende Umsetzung der Gewässerrahmenrichtlinie entschieden zu beschleunigen. Etwa mit den folgenden Renaturierungsmaßnahmen:

  • Ein neues und umfassendes Programm zur Pflanzung von Röhricht an den Berliner Seen und seenartigen Erweiterungen. Realisierung des 2012 beschlossenen Ziels mindestens 1/3 aller Uferlinien von Spree-, Dahme- und Havelseen wieder mit Röhricht in gutem Zustand zu bepflanzen.
  • Durchgängigkeit an den Berliner Gewässern und Uferbereichen für lebende Fische und andere Wassertiere. Sofern das an Spree und Havel aufgrund der Stauhaltung nicht möglich ist, sind kurzfristig Fischtreppen und Fischwanderhilfen anzulegen.
  • Ein Programm zur Wiederherstellung und Umweltverbesserung an den mehr als 700 Kleingewässern in Berlin
  • Verstärkte Fortsetzung der Renaturierungsmaßnahmen an den kleinen Flüssen wie Panke und Erpe. Ausweitung der Renaturierungsmaßnahmen auf Spree und Havel.
  • Bebauungsverbot für beidseitig mindestens 15 Meter breite Uferstreifen und deren naturnahe Entwicklung zum Biotopverbund
  • Derzeit wird das Klarwasser der Kläranlagen Berlins über Spree und Havel ins Meer geleitet. Nach Optimierung der Reinigungsleistung der Berliner Kläranlagen sollte das Klarwasser vor Ort zur Durchfeuchtung der Landschaft und Grundwasseranreicherung genutzt werden.
  1. Straßenbäume

Das NRL verpflichtet in Art. 13 die europäische Gemeinschaft, bis 2030 mindestens 3.000.000.000 neue Bäume zu pflanzen. Wenn wir diesen Auftrag für Berlin operationalisieren, scheint es sinnvoll ihn auf Baumpflanzungen im urbanen Raum zu beziehen und den Berliner Anteil daran entsprechend dem Anteil der Fläche zu errechnen, welche unsere Stadt innerhalb der EU einnimmt. Da es um ein Widerherstellungsprogramm geht, wären Ersatzmaßnahmen für gefällte Bäume abzurechnen. Somit ergibt sich eine Neupflanzung von rund 6.500 (exakt: 6.322) Straßenbäumen bis zum 31.12. 2030, zusätzlich zum bisherigen Bestand (431.000). ZU beachten ist dabei immer de ökologische Wert der ausgewählten Baumarten im jeweiligen Gebiet, somit eine eindeutige Präferenz für „native trees“,  also jeweils einheimische Arten (so das NRL, §13(2). Alte Bäume sind möglichst aufgrund ihres hohen Naturwerts zu erhalten.

Aufgrund der Ende Mai beim Senat eingereichten Initiative zum Volksentscheid Baum-plus  wird sich hier die Umsetzung des NRL mit der Kampagne dieser Initiative  verbinden, mit ihren deutlich anspruchsvolleren Vorgaben zur Pflanzung von Bäumen im Kontext von  Klimaanpassung und Hitzeschutz und unter Einbeziehung von Bürger/innen in den Prozess[11].  

  1. Urbane Ökosysteme

 

Durchgrünter Innenhof in Charlottenburg

Durchgrünter Innenhof in Charlottenburg
Foto: H. Berger, 2024

                                Durchgrünter Innenhof in Charlottenburg, F.: H.B. 2024

 

Vorweg sei der einschlägige Passus aus §8 des NRL zitiert:

Bis zum 31.12. 2030 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die nationale Gesamtfläche der städtischen Grünflächen und der städtischen Baumkronen in städtischen Ökosystemgebieten keinen Nettoverlust erleidet.

Ab dem 1. Januar 2031 erreichen die Mitgliedstaaten eine steigende Tendenz bei der Gesamtfläche der städtischen Grünflächen in städtischen Ökosystemgebieten, auch durch die Integration von städtischen Grünflächen in Gebäude und Infrastruktur.

Ich interpretiere „ no net loss = kein Nettoverlust“ so, dass sich spätestens ab Ende 2030 der relative Flächenanteil sowohl der Grünflächen wie der Baumkronen in der Stadt nicht mehr verringern darf und ab dem folgenden Jahr 2032 kontinuierlich wieder zunimmt. Dabei muss spätestens ab 2032 auch das Gebäudegrün – etwa auf Dächern und an Fassaden – kontinuierlich wachsen. 

Angesichts seines Programme eines beschleunigten Wohnungsbaus und weiterer raumgreifender  Gewerbeansiedlungen verpflichtet so das NRL zu einer radikalen Kehrtwende im Umgang mit dem städtischen Grün. Der Planungsprozess für jegliche Art der Bebauung ist so umzugestalten, dass im Zuge der Realisierung des Baus und einem dadurch unvermeidlichen Verlust an unversiegelter bzw. begrünter Fläche ein flächenmäßig gleichwertiger Ausgleich geschaffen wird. Das NRL gesteht dabei allerdings Berlin, wie allen Städten und dicht verstädterten Räumen zu, diese strategische Kehrtwende erst binnen 6 Jahren vollständig zu realisieren. Es liegt aber auf der Hand, dass angesichts des kurz bemessenen Zeitraums mit der notwendigen Umsteuerung bereits jetzt, 2024 und 2025, begonnen werden muss. Wir können nicht auf den nationalen Wiederherstellungsplan bis Ende 2026 warten, erst dann Schritte zur Umsetzung planen und mit deren Umsetzung dann erst zu Silvester 2031 beginnen. Wenn Berlin mit dem erwarteten Netto-Erhalt des städtischen Grüns nicht scheitern will, muss die Stadt hier und jetzt mit einer NRL-affinen Strategie des Grün-Erhalts beginnen.

Dabei geht es nicht um einen Grünerhalt „sans phrase“, sondern zugleich um eine Verbesserung der

Naturqualität des städtischen Grün.  Dazu §10 des NRL:

Zur Wiederherstellung von Bestäuberpopulationen sind die Mitgliedsstaaten gehalten, rechtzeitig geeignete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Bestäubervielfalt bis spätestens 2030 zu sichern und den Rückgang der Bestäuberpopulationen umzukehren, um danach eine steigende Tendenz der Bestäuberpopulationen zu erreichen.

 Hier gibt es in Berlin in der Tat durchaus positive Entwicklungen. Viele Grünflächen und Wiesen in der Stadt werden seltener und später gemäht und bieten somit mehr Lebensraum für Insekten und Käfer aller Art. Eine Pionierleistung ist hier das 2018 begonnene Bestäuberprojekt des Naturkundemuseum, mit dem im ansonsten vielbefahrenen Straßenland Mittelstreifen mit Erddaustausch, Aussaat von Wildblumen, Mahd erst im Herbst die Entwicklung der Artenvielfalt untersucht wird. Die Resultate im Sommer 2024 sind beeindruckend:

Auf den Mittelstreifen im Projekt wurden an verschiedenen Arten bei Wanzen 83, bei Käfern 135, bei Hautflüglern 183 und bei Schmetterlingen 66 identifiziert[12].

Eine Wiederherstellung von Natur in den urbanen Ökosystemen Berlins muss angesichts einer jahrelangen Debatte und Projekten zu Klimaanpassung in Verbindung mit Naturschutz in der Stadt und Lebensqualität für die Bewohner/innen nicht  bei Null beginnen. Berlin hat innerhalb des Stadtgebiets enorme Möglichkeiten zu Renaturierungsmaßnahmen und eine Reihe von Aktivitäten vorzuweisen. Sie gilt es zu ermutigen, zu steigern und zu vervielfältigen.

Die folgende Liste möglicher Handlungsbereiche ist nur skizzenhaft und stützt sich in Teilen auf die bereits 2012 beschlossene „Berliner Strategie zur biologischen Vielfalt“, insbesondere die Kapitel „Arten und Lebensräume“ und „Urbane Vielfalt“. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Die Berliner Strategie besteht aus Absichtserklärungen ohne verbindliche und verpflichtende Regeln zu ihrer Umsetzung, entsprechend fehlen auch Zeitleisten für die Umsetzung. Sie enthält nicht einmal die Verpflichtung, in bestimmten Intervallen ggf. erfolgte Umsetzungen zu prüfen und zu evaluieren. Sie setzt sich damit dem Vorwurf des bloßen green-marketing aus, das Image Berlins als „grüne Metropole“ zu stärken, ohne dafür irgendetwas tun zu müssen.

a.
Ein umfassendes Programm zur Begrünung von Dächern und von Häuserfassaden

b.
Umfassende Herstellung von Wildwiesen in den Straßenbereichen und auf Grünflächen überall in der Stadt

c.
Ausweitung einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung, kombiniert mit der Anlage von gepflanzten Muldensystemen und Regengärten im öffentlichen Bereich

d.
Entschiedene Ausweitung einer umweltgerechten und naturnahen Gestaltung von Kleingärten in der Stadt

e.
Zulassung von Wildnis in ausgewählten Stadtbereichen

f.
Herstellung von Biotopverbünden. Dabei sollten sowohl die Flächen der Stadtgüter sowie die außerhalb Berlins gelegenen Teile der mit Brandenburg gemeinsamen Regionalparks einbezogen werden.

g.
Umgestaltung wesentlicher Teile von Schulhöfen zu begrünten und biodiversitätsfreundlichen Flächen, möglichst gemeinsam mit den Schüler*innen.

  1. Zur Finanzierung

Ein anspruchsvolles Renaturierungsprogramm in Berlin wird ohne einen entsprechenden organisatorischen, finanziellen und auch verwaltungsmäßigen „Unterbau“ nicht umzusetzen sein.

Was die Finanzierung betrifft, könnte die Stadt zumindest Teile der Maßnahmen zurückstellen oder ganz unterlassen, mit deren Realisierung sich die Natur- und Lebens-Qualität verschlechtern.

Nur ein Beispiel: Die Kosten für die geplante Verkehrstrasse „Tangentialverbindung Ost“ belaufen sich nach Stand 2023 auf mehr als 400 Mio €[13].  Ihr Bau würde einen Waldbestand von bis zu 16 ha in der Wuhlheide und Naturflächen anderenorts vernichten sowie breitflächig weiteren Boden versiegeln und damit für Leben abtöten.  Wir müssen uns schon entscheiden: Setzen wir die Prioritäten auf mehr Raum für den motorisierten Verkehr mit all seinen Folgen für Natur, Umwelt und Gesundheit? Oder sind uns ein Erhalt von Natur und Lebensqualität in der Stadt vorrangig?

 

[1] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/state-of-eu-nature/

[2] Zum Zusammenhang von Naturerleben und gesundheit gibt es vielfältige Studien. Z.B. zur Wirkung von Vogelsang auf die mentale Gesundheit: https://www.mpib-berlin.mpg.de/aktuelles/pressemeldungen/hingehoert-vogelgezwitscher-ist-gut-fuer-die-mentale-gesundheit.

Zu Naturerleben und Gesundheit: https://www.bundesforste.at/fileadmin/publikationen/studien/WasserWege_Gesundheit.pdf;

Zum positiven Einfluss von Stadtnatur auf die Gesundheit: https://www.bund-naturschutz.de/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/Themen/Natur_und_Landschaft/Stadt/Stadtb%C3%A4ume/BN-Informiert_Einfluss_von_Stadtnatur_auf_unsere_Gesundheit.pdf; wegweisend ist hier insbesondere eine breiträumig angelegte Untersuchung in den Niederlande, zu finden etwa unter: Maas J, Verheij RA, Groenewegen PP, de Vries S (2006) | Spreeuwenberg P. Green space, urbanity, and health: how strong is the relation? | J Epidemiol Community Health 60: 587–592

[3] Auf das folgende hat mich der Sachverständigenrat für Natur und Landschaftspflege Berlin hingewiesen.

[4] Das ist aus meiner Sicht der praktische Sinn des von der Staatssekretärin im März 2024 verhängten Moratoriums. Dieses hätte allerdings nicht per ordre de mufti, als plötzliche Anordnung von oben erfolgen sollen, sondern in Konsultation und Absprache zumindest mit den Forstamtsleiter*innen und den Revierförster*innen.

[5] Mit dem in Anm. (3) erwähnten Einschlagmoratorium wird sich die jährliche Fläche weiter verringern, denn es sieht – bisheriger Stand – vor, dass in Kiefernmonokulturen, die bereits von der gebietsfremden Spätblühenden Traubenkirsche durchwachsen sind, vorerst auch nicht Pflanzung oder Aussaat von Laubholz stattfinden soll.

[6] Auch hier folge ich dem zitierten Sachverständigenrat.

[7] So waren in Kraftwerke in West-Berlin bis weit in die 80er Jahre weder mit Entschwefelungs-, noch mit Entstickungsanlagen ausgerüstet, die Jahresemissionen aller damaligen BEWG-Kraftwerke beliefen sich für SO² und NO² auf jeweils rund 50.000 t. Hinzukamen die enormen Emissionen aus den DDR-Kraftwerken und der Hausbrand aus Kohleöfen in beiden Teilen der Stadt, schließlich der zudem zumeist ohne Katalysatoren betriebene Autoverkehr diesseits wie jenseits der Mauer. Zweifellos haben diese hohen und im Stadtbereich verdichteten Emissionsmengen zu Bodeneinträgen im Wald geführt.  Die negativen Auswirkungen auf Bodenverhältnisse und auf die Gesundheit der Bäume sind bekannt, ihre genauere Untersuchung in Berlin wurde leider durch den Senat vor 2 Jahrzehnten gestoppt. Ich vermute, dass der in den jährlichen Waldschadensberichten dokumentierte besonders schlechte Zustand der Wälder Berlings sich mit aus diesen Bodeneinträgen und ihren Folgen im Ökosystem der Wälder erklärt.

[8] Beispielhaft dafür ist in Brandenburg das Naturschutz-Großprojekt Uckermärkische Seen, https://uckermaerkische-seen.de/files/foerderverein/downloads/NuL-2013-05_NGP-US.pdf

[9] Hier ist in Brandenburg beispielhaft das Stauhaltungsmanagement in der Unteren Pulsnitzniederung im Süden des Bundeslandes: https://lfu.brandenburg.de/daten/n/natura2000/managementplanung/226/FFH-M

[10] Dazu ausführlich: Hartwig Berger, Mit Klarwasser den Naturschutz verbessern,
https://www.hartwig-berger.de/cms/fuer-einen-anderen-umgang-mit-abwasser-in-und-um-berlin/

[11] §3 des vorgeschlagenen Gesetzes: Der Netto-Bestand an Straßenbäumen ist bis zum 31. Dezember 2027 auf 440.000 zu erhöhen. Bis zum Ablauf des Jahres 2030 ist der Netto-Bestand an Straßenbäumen auf 486.000 -540.000, bis zum Ablauf des Jahres 2032 auf 577.800 -642.000 und bis zum Ablauf des Jahres 2035 auf 720.000 -800.000 zu erhöhen.

[12] Mitteilung des Projektleiters Dr. Hannes Koch im Umweltausschuss der BVV Charlottenburg/Wilmersdorf, 3.7.2024

[13] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/11/berlin-tangentialverbindung-ost-verkehr-planfeststellung.html

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