Ein Vorschlag zur EU-Jugendgarantie
von Dr. Hartwig Berger und Prof. Dr. Rolf Kreibich
Seit mehr als 10 Jahren sind untragbar viele junge Europäer*innen arbeitslos. Viele können einen erlernten Beruf nicht ausüben und sind dauerhaft ohne bezahlte Arbeit oder nur zeitweise unter ungünstigen Bedingungen und fachfremd beschäftigt. Vor allem betrifft das junge Menschen in Südeuropa, aber auch z.B. in Kroatien, Slowenien oder Frankreich.
Die Europäische Kommission und der Europäische Rat haben mit der Europäischen Jugendgarantie vor nunmehr 5 Jahren die Mitgliedstaaten verpflichtet, allen jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, später erweitert auf bis zu 30 Jahren, binnen 4 Monaten entweder eine bezahlte Arbeit oder einen Ausbildungsplatz zu offerieren.
Die Staaten sind gehalten, hierfür Umsetzungsprogramme zu entwickeln. Sie erhalten bei Einhaltung dieser Verpflichtung finanzielle Mittel, deren Höhe sich nach der Höhe der Jugendarbeitslosigkeit und benötigter Infrastruktur- und Ausbildungsmaßnahmen bemisst. Für diese Aktivitäten wurde ein europäischer Fonds eingerichtet, der von 2014 – 2018 mit 6,4 Mrd. € ausgestattet ist und im vergangenen Jahr um weitere 2 Mrd. € erhöht und seine Laufzeit bis 2020 verlängert wurde. Die Finanzierung über die europäische Jugendgarantie ist verbunden mit der Erwartung, dass die Länder diese finanziellen Angebote mit einer wirksamen Umsetzungsstrategie und konkretern Maßnahmen unterlegen. Dies sollte dazu führen, dass die Aussichten auf existenzsichernde berufliche Tätigkeiten der Jugendlichen erheblich erhöht werden.
Heute ist klar, dass diese finanziellen Anreize über die europäische Jugendgarantie bei weitem nicht ausreichen, die Arbeitslosenquoten durchschlagend abzubauen. Weder wurden von den hauptsächlich in den von der überbordenden Jugendarbeits-losigkeit betroffenen Ländern hinreichende Strategien und Maßnahmen ergriffen, noch haben die Kontrollinstrumente ausgereicht, um die Maßnahmen wirksam zu überprüfen und ggf. auch positiv und negativ zu sanktionieren. So waren im Frühjahr 2017 noch über vier Millionen junge Europäer*innen ohne Arbeit – in Griechenland 43%, Spanien 41%, Italien 35% in Frankreich 24%1. Das sind noch immer Quoten, die unwürdig für Europa sind und einer ganzen Generation die Zukunft verbauen.
Besonders alarmierend ist der Anteil junger Europäer*innen, die weder eine Ausbildung absolviert haben oder dafür Möglichkeiten wahrnehmen können, noch eine Arbeit zugewiesen bekommen. Unter diesen Bedingungen befanden sich 2017 EU-weit 14,5% der Jugendlichen zwischen 15 und 34 Jahren weiterhin ohne Arbeit: Italien: 25,5%; Griechenland: 24,4%; Bulgarien 19,5%; Kroatien 18,9%; Spanien 17,9%2
Die zu geringe bisherige Wirkung der Jugendgarantie überrascht nicht, weil sie nicht ohne zusätzlich Maßnahmen zur Investitions- und Innovationsförderung im jeweiligen Berufsfeld die Arbeitsvolumina und die internationale Wettbewerbsfähigkeit steigert. Hierfür müssen auch die wirtschaftlichen Umfeldbedingungen – Wissenschafts- und Technologieentwicklung, Transport, innovative Infrastrukturen verbessert werden. So kommt es häufig dazu, dass die durch die europäische Jugendgarantie besser auf zukunftsträchtige Arbeitsfelder vorbereiteten Jugendlichen nur zeitlich begrenzte Arbeitsverträge erhalten oder dass sie gleich ins Ausland abwandern. Deshalb müssen die Betriebe zusätzlich verpflichtet werden, die Jugendlichen längerfristig zu beschäftigen oder wenigstens in Kurzarbeit zu halten. Die Erkenntnis aus dieser Situation muss sein, dass ohne zusätzliche Fördermaßnahmen zur Ausweitung und Sicherung von qualitativ hochwertigen Produktentwicklungen und Dienstleistungen allein durch die Maßnahmen der europäischen Jugendgarantie keine dauerhaften Beschäftigungsverhältnisse für Jugendliche in diesen Ländern zu erreichen sind. Somit bleiben die finanziellen Maßnahmen der Jugendgarantie nur eine Teilmaßnahme, die durch weitergreifende Förderinitiativen im Sinne nachhaltig-zukunftsfähiger Produkt- und Dienstleistungsentwicklungen erweitert werden müssen.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa hat sich in den letzten Jahren auch dadurch verringert, dass viele junge Menschen in derzeit prosperierende Regionen abgewandert sind. Dort haben sie vielfach nur unterhalb ihrer beruflichen Qualifikation Arbeit gefunden, allerdings noch mehr verdient als in den Heimatländern. Zugleich vergrößert die innereuropäische Jugend-Mobilität die Disparitäten zwischen den Regionen, zumal der Staat, aus dem die Abwanderung stattfindet, zumeist noch die Ausbildungskosten zu tragen hatte.
Anlässlich der Europawahlen im kommenden Jahr wird der Zustand der Jugendarbeitslosigkeit in Europa voraussichtlich wieder verstärkt öffentlich diskutiert werden. Dabei wird es auch wieder um die geringe Beteiligung von Jugendlichen an den Wahlen gehen. Allerdings sollte aufgrund der bisherigen Erkenntnisse nicht über-raschen, wenn Jugendliche, die dauerhaft arbeitslos oder nur prekär beschäftigt sind, der Europäischen Union und dem Europäischen Solidaritätsgedanken wenig abgewinnen können. In zentralen Fragen ihrer Lebensgestaltung hilft ihnen die EU bisher jedenfalls nicht spürbar weiter. Aber welche Zukunft steht der Union überhaupt bevor, wenn dauerhaft ein hoher Anteil gerade junger Europäerinnen vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt bleibt? Umgekehrt muss die EU gerade in dieser Generation überzeu-gen, um den Abbau von Jugendarbeitslosigkeit als Gemeinschaftsleistung sichtbar zu machen. Die Zeit vor den Europawahlen eröffnet politisch eine große Chance, hier überzeugende Konzepte vorzulegen und für deren Umsetzung weitere glaubhafte Schritte zu gehen.
In diesem Zusammenhang steht unser Vorschlag:
Die EU bietet jungen Menschen, die bisher keine existenzsichernde Arbeit gefunden haben, Ausbildung in Fachfragen und empowerment zur anschlies-senden Berufssuche, zur Gründung von Unternehmen oder Kooperativen und Mitwirkungsmöglichkeiten in Genossenschaften in Berufsfeldern an, die geeignet sind, eine zukunftsfähige Gestaltung der Union voranzubringen. Ein Bereich, der sich hier besonders anbietet, sind Aktivitäten zur Verbesserung des Klimaschutzes und zur Eindämmung der Folgen der Erderwärmung. Wir schlagen vor, die europäische Jugendgarantie um ein zusätzliches EU-finanziertes Angebot „Jugend für eine nachhaltige Zukunft“ zu erweitern. Über dieses Angebot sollen junge Europäer*innen, darunter auch junge Geflüchtete mit Aufenthaltsrechten, eine primäre oder ergänzende Ausbildung in Berufszweigen erhalten, die für den Klimaschutz wichtig und notwendig sind. Dabei sollte die Ausbildung eng mit praktischen Aktivitäten und Erfahrungen auch in anderen Ländern (z.B. in deutschen Unternehmen und Kommunen) verbunden sein. Die Basis sollte ähnlich dem „dualen Modell“ der Berufausbildung gestaltet werden. Die jungen Menschen sollten auch lernen, wie sie im Sektor Klimaschutz und Energiewende selbst initiativ werden können, start-up Unternehmen gründen oder in Projekten solidarischer Ökonomie tätig werden. Gerade im Sektor einer klimaverträglichen Energiewende und Arbeitsgestal-tung sind Eigeninitiative und Kreativität gefragt.
Ein entsprechendes Bildungsangebot wird sich mit Klimaschutz-Aktivitäten der Mitgliedstaaten verbinden müssen. Dazu haben sich innerhalb der EU alle Staaten mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens völkerrechtlich verpflichtet. Das Angebot „Jugend für eine nachhaltige Zukunft“ sollte ein Baustein werden, um dieser Verpflichtung auch nachzukommen. Bisher ausgegrenzten Jugendlichen könnte so eine Zukunft geboten werden und sie dadurch an die Gemeinschaftsleistungen und solidarische Zusammenwirkung innerhalb der EU heranzuführen.
Wir begrenzen den Vorschlag für ein EU-weites Angebot auf Aktivitäten des Klimaschutzes, insbesondere auf den klimaverträglichen Umbau des bisher weitgehend klimaschädlichen Energiesystems. Allein in der Entwicklung dieses Bereichs könnten weit mehr als eine Million junger Europäer*innen zusätzlich beruflich in zukunftsträchtigen Arbeitsfeldern engagiert werden.
Dazu ist allerdings erforderlich, daß die Mitgliedstaaten der EU ihren völker-rechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Und es sind gerade die von hoher Jugendarbeitslosigkeit betroffenen südlichen Regionen, die mit ihren besonders guten Bedingungen für eine Solarwende junge Menschen hier einsetzen können. Sie sind zudem in den kommenden Jahren stärker als die nördlich gelegenen Regionen mit Klimaverschlechterungen konfrontiert und müssen sehr viel tun, um Desertifikation, Erosionsgefahren, schwere Wasserkrisen und negative Wirkungen auf die Landwirtschaft in Grenzen zu halten. Auch aus diesem Grund können sie es sich nicht leisten, junge Menschen dauerhaft von Beschäftigung auszugrenzen oder zur Abwanderung in andere europäische Regionen zu zwingen. Sie müssen aus Eigeninteresse im Land gehalten werden, um auch die Zukunft des eigenen Landes besser sichern zu helfen. Die oben erwähnten Felder für den Klimaschutz zeigen zudem, dass praktisch in allen Wirtschaftssektoren – Maschinenbau, Elektronik, IundK-Technologien, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Bauwirtschaft, Holzbau etc. gut ausgebildete und praxiserfahrene junge Menschen gebraucht werden.
Sinnvolle Ausbildungsziele im Bereich Klimaschutz / Eindämmung der Folgen der Erderwärmung könnten etwa sein:
- Energy Service Management, das neben energietechnischem know-how Kenntnisse in Ökonomie, Recht , Klimaschutz und Training unternehmerischer sowie kommunikativer Kompetenzen umfasst
- Sanierung und Bau von Gebäuden nach Niedrig- und Nullenergiestandard, Holzbau, Energieeffizienz
- Energieaudits in Verbindung mit klimaschonenden Strategien der Wärmeversorgung und Raumkühlung
- „Solarteur*innen“, die dezentrale Anlagen erneuerbarer Energien unter technischen wie ökonomischen Gesichtspunkten projektieren, installieren und warten für Wärme, Kälte und Strom.
Von andauernder Arbeitslosigkeit und drohender Marginalisierung sind insbesondere Jugendliche betroffen, die bisher ohne jede berufliche Vorqualifikation sind. Daher ist es unerlässlich, sie ebenfall in Bildungsangebote einer erweiterten Jugendgarantie zu integrieren. Beispiele:
- Ausbildung in niedrigschwelliger Energieberatung für Haushalte und Kleinbetriebe in Kommunen, Stadtteilen und Nachbarschaften.
- Ausbildung in praktischen Aufgaben des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, in der Land- und Fortwirtschaft, der Landschafts- und Grünpflege, der Gebäudebegrünung etc.
Unter Federführung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin wurde im Winter 2017/18 eine Machbarkeitsstudie zur Ausbildung und Berufsausübung junger Arbeitsloser im Bereich Energiewende/Klimaschutz erstellt, die auf Untersuchungen mit Akteuren in der griechischen Region Attika und der südspanischen Provinz Cádiz basiert. Die Studie wurde von der Europäischen Klimainitiative (EUKI) des deutschen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit finanziert.
1 Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 5/2017.
2 Nach Eurostat, Juni2018: http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=edat_lfse_20&lang=en
Dr. Hartwig Berger Prof. Dr. Rolf Kreibich
Ökowerk Berlin e.V. Sekretariat für Zukunftsforschung Berlin