Zur politischen Ökologie des Urbanen, Münster 2003
Im Herbst 2001 endete meine insgesamt 12jährige Aktivität als Abgeordneter in Berlin. Da ich in dieser Zeit viel Einblick zur Umwelt- und Ökologiepolitik in großen Städten gewonnen hatte, nahm ich mir vor, das sozialwissenschaftlich zu reflektieren. Ergebnis ist dieses Buch. Leider habe ich wenig feedback erfahren, auch nicht aus Berlin, obwohl ich die generellen Einsichten und Überlegungen durchweg an Beispielen aus Berlin darstelle und verdeutliche.
Ich wollte mit dem greifbaren und wiederkehrenden Bezug auf eine konkrete Stadt meine Argumente anschaulicher und empirisch besser nachprüfbar machen.
Im Buch analysiere ich Prozesse und ökologische Folgen der „Entgrenzung“ moderner Metropolen: Ihre räumlichen Grenzen verschwimmen sowohl im Nahbereich durch Stadtflucht und Zersiedelung, wie auch bezogen auf die Ferne, z.B. durch den Trend zu Zweitwohnungen finanzkräftiger Schichten. Zum zweiten nutzen und vernutzen die modernen Siedlungsagglomerate Ressourcen der ganzen Erde für ihren Stoffwechsel – sie sind auch insofern „entgrenzt“.
Hier eine ausführlichere Zusammenfassung der einzelnen Kapitel:
Die sumerische Stadt Ur war zu ihrer Zeit mächtig und reich. Ihre Bewohner lebten von Handel und Ackerbau, für den sie die Hänge der umgebenden Hügel entwaldeten und kultivierten. Doch irgendwann verschwand Ur im Nebel der Überlieferung, warum, das blieb lange unbekannt. Bis man Ruinen entdeckte, die von einer drei Fuß hohen Schlammschicht bedeckt waren. Offenbar war die Stadt einer gigantischen Mure zum Opfer gefallen. Wahrscheinlich haben Regen und Wind die entwaldeten Hänge um die Stadt ausgewaschen und gelockert, bis eines Tages das gesamte Erdreich unter Wolkenbrüchen nachgab und die Stadt unter sich begrub .
Moderne Städte sind in ihren Ausdehnungen zu Ballungsräumen entgrenzt und in ihren Umweltauswirkungen nicht mehr regional eingrenzbar, sondern global. Eben darum können sie in ganz anderer Weise als historisch frühe Städte unter dem „Schlamm“ der nunmehr global erzeugten Umweltveränderungen begraben werden – mit sozialen und menschlichen Katastrophen, die wir uns besser nicht ausmalen. Sie haben nur dann eine Zukunft, wenn sie das Ihre dazu beitragen, um die Überausbeutung der Naturressourcen zu beenden.
Zu einer als „zukunftsfähig“ zu bezeichnenden Planung einer modernen Stadt gehört daher, dass sie ihre weltweit induzierten Umweltveränderungen massiv verringert. Das Kapitel „Stadt in der Welt“ widmet sich dieser Frage am Beispiel des Klimaschutzes. Inwieweit fallen hier Anforderungen, Ansprüche und Wirklichkeit auseinander? Ich beleuchte das an der Klimaschutzpolitik der Stadt Berlin in den 90er Jahren. Als eine zeitgemäße Methode, die globalen Umweltauswirkungen transparent zu machen, erörtere ich die Methode des ökologischen Fußabdrucks, und plädiere für eine Renaissance des platonischen Ideals der maßvollen Stadt, ohne in die „Falle“ einer Gleichsetzung von ökologischer und asketischer Lebensführung zu „treten“.
Das Kapitel „Stadt im Raum“ handelt über die Entgrenzung moderner Städte im Raum. Unter dem Stichwort Fernurbanisierung werden gesellschaftliche Auswirkungen der Stadt über weite Distanzen herausgearbeitet und veranschaulicht. Stadtplanung führt – so eine zentrale These – gegen fortschreitende Zersiedelung solange ein aussichtloses Wettrennen, wie das Bodeneigentums nicht reformiert wird und hier Gemeineigentum wiederhergestellt wird.
Die räumliche Entgrenzung der Städte ist heute durch den Fortzug finanzkräftiger Schichten in die Vororte und aufs Land mitverursacht. Wie kann der sich selbst verstärkende Regelkreis von Defiziten an urbaner Lebensqualität, Stadt-Rand-Wanderung und weiter zunehmendem Verkehr in die und aus der Stadt gebrochen werden? Entscheidend ist hier der Wandel von Bedürfnis- und Motivationsstrukturen, die sich mit Kultur und Kult des Autos verbinden. Wie allerdings heute ein Wandel von der Hegemonie der motorisierten Mobilität hin zu einer Kultur der körperlichen Bewegungsfreude möglich wird, muss allerdings offen bleiben.
In einem hier nicht referierten Eingangskapitel „Nachdenken über Nachhaltigkeit“ habe ich unter anderen den Ansatz einer „Ethik der Selbstbeschränkung“ skizziert. Das spätere Kapitel „Natur in der Stadt“ ist Teil meines Versuchs, das in einem neuen Verständnis von Urbanität näher zu fassen. Zentrale These des Kapitels ist, dass mehr Natur und weniger Strangulierung von Natur einer lebenswerten Urbanität eher entspricht. Naturschutz in der Stadt kann und sollte daher als Negation von Urbanität, sondern als deren Erweiterung begriffen werden. Ein so verstandener Naturschutz bleibt allerdings nicht bei Naturästhetik und Naturbetrachtung stehen und schließt eine Gestaltung der lebendigen Umgebung durch die BewohnerInnen ein. Urbane Landwirtschaft ist kein Relikt aus Ackerbürger-Städten oder aus proletarischen Küchen- und Schrebergärten früherer Jahrhunderte. Sie hat in allen Städten der Erde eine Zukunft, vor allem in denen des globalen Südens.
Das Wechselspiel von urbaner Entgrenzung und Begrenzung erörtert das Kapitel Wasser und Stadt. Die Stadtgesellschaften des globalen Nordens tragen zur Verschärfung der Wasserkrisen vor allem im globalen Süden bei. Wie dieses Phänomen, ist auch die Versorgungsstruktur mit Wasser in den Siedlungen aus dem Wahrnehmungshorizont der Bewohnerurbanen Bewusstseins verschwunden. Des weiteren entwickle ich umweltpolitische Argumente, die dafür sprechen, die Wasserversorgung als Gemeinschaftsaufgabe statt durch Privatunternehmen zu gestalten.
Ich schließe Überlegungen zum System der urbanen Abwasserentsorgung an. Die Haltung aus den Augen, aus dem Sinn unterstützt die heute übliche Praxis, gereinigtes Abwasser über die Gewässer aus der Stadtregion hinaus zu leiten. Es wird nicht als wertvolle Naturressource begriffen, die möglichst lange im Gebiet zu halten und zu nutzen ist. Das Kapitel legt abschließend Vorzüge einer biozyklischen Wasserwirtschaft dar, die Wasserkreisläufe fördert, um die Umweltqualität urbaner und stadtnaher Landschaften zu verbessern.
Das Kapitel „Von der fossilen zur solaren Stadt“ wendet sich wieder der größten ökologischen Bürde zu, die Städte für die Erde insgesamt generieren. Eine ökologische Energiewende ist daher das A und O einer Politik der urbanen Nachhaltigkeit. Warum steht sie zu wenig – oder zu wenig ernsthaft – auf der Agenda der Stadtgesellschaften?
Auf dem steinigen Weg zur solaren Stadt interessiert mich besonders ein strukturelles Hindernis: Die Prägung der Stadtarchitektur, der Symbolik und der Selbstdarstellungen des „Urbanen“ durch das System der fossilen Energieversorgung. Mit diesem System erst konnten sich moderne Städte entwickeln. Wie aber können aus dieser Vorprägung Wege in die solare Stadt geebnet werden? Ich plädiere für eine Doppelstrategie, die eine Solarwende mit einerseits mehr Energieeffizienz, andererseits mit einem suffizienten (sparsamen) Umgang mit Energie verbindet. Das Kapitel konzentriert sich des weiteren auf administrative und wirtschaftliche Blockaden einer urbanen Energiewende und ihre möglichen Gründe und schließt mit, zugegeben, vagen Hoffnungen auf Mobilisierungspotentiale einer Solarstrategie.
Abschließend benenne ich einen biographischen Grund, der das Fragen und Untersuchen dieses Buchs durchgängig bestimmt hat: Als langjährig aktiver Umweltpolitiker war und bin ich mit einer kaum auflösbaren Rollenerwartung konfrontiert: nämlich dass Aktivitäten in diesem Politikfeld „an sich“ für gut und lobenswert befunden, gleichwohl aber nicht als Kernproblem der Stadtgesellschaft gehalten werden und in der Stadtpolitik marginal bleiben. Vor allem wurde und wird nicht verstanden, dass Stadtökologie direkt mit Gesellschaft und Gesellschaftskritik zu tun hat. Dabei ist es eigentlich trivial, dass nicht „die Umwelt“, sondern die mit ihr hantierende Gesellschaft Problem und Patient ist. Auch um gegen ein solches für zukunftstaugliche Stadtpolitik sehr hinderliche Vorurteil zusammenhängend argumentieren zu können, habe ich dieses Buch geschrieben. Stärkere Resonanz und (natürlich auch) kritische Bezugnahme auf meine Thesen wären der Umwelt- wie der Stadtsoziologie förderlich (gewesen).
Wie Berlin eine Chance verspielte. Kommune 5/03
ist der Abdruck des Kapitels 2 meines Buchs.
Zweimal hatte ich die Möglichkeit, aus Überlegungen meines Buches im akademischen Rahmen zu referieren: einmal im Rahmen einer Ringvorlesung an der Uni Cottbus, Sommer 2007, die Wolf Schluchter organisierte:
Von der fossilen zur solaren Gesellschaft. In: Energie – Macht – Leben. Vortragsreihe des Humanökologischen Zentrums der BTU Cottbus 2007. Aktuelle Reihe 1/2008
Im veröffentlichten Vortrag interessiert vor allem die Prägung der urbanen Strukturen und des sozialen Habitus durch eine Industrialisierung auf Basis fossiler Energieträger.
Die entgrenzte Stadt und ihr Umgang mit Energie. Vortrag 2004 an der TU Berlin.
Unveröffentlicht, aber durchaus lesenswert. Es handelt sich um eine verbesserte Ausarbeitung des „Energie“-Kapitels im Buch.
Verwundbarkeit und Verantwortung – Zur globalen Bedeutung nachhaltiger Stadtentwicklung. 2008, unveröffentlicht.
Ein Vortragspapier, mit im Text eingebauten power-point Bildern, den ich im Herbst 2008 auf der Konferenz „15 Jahre Agenda 21“ in (Treptow-)Köpenick gehalten habe. Er schließt ebenfalls an das Buch an, mit dem Schwerpunkt, dass die Stadtpolitik stärker die globalen Umweltauswirkungen der urbanen Gesellschaft im Auge haben muss.
Beiträge:
1. Wissenschaftstheorie – lesen…
2. Methoden der Sozialforschung – lesen…
3. Sozialforschung in Andalusien und Artikel in spanischer Sprache – lesen…
4. Theorie der Arbeiterbewegung – lesen…
5. Schriften in den Niederlanden – lesen…
6. Soziologie und Politik der Arbeitseinwanderung – lesen…
7. Interkulturelle Erziehung – lesen…
8. Ökologie und Umweltpolitik – lesen…
9. Bosnien/Kosovo – lesen…
10. Brandenburg und Berlin – lesen…
11. Europa und „Benachbartes“ – lesen…
12. Atompolitik – lesen…
13. Energie- und Klimapolitik – lesen…
14. Entgrenzte Städte
15. Der lange Schatten des Prometheus – lesen…
16. Veröffentlichungen in der Folge des „Prometheus“ – lesen…