Verkehrte Kreisläufe mit „CCS“

Das Dilemma der Kohlendioxid-Abscheidung und -lagerung

von Hartwig Berger erschienen in Leviathan 2/2010

1. Der lange Schatten der Kohle

Er gräbt sich Höhlen in den Bergen und späht im Schacht,
Von seines Vaters heiterem Lichte fern,
Dem Sonnengott auch ungetreu, der
Knechte nicht liebt und der Sorge spottet.

Aus Hölderlins Ode „Der Mensch“, die um 1800 entstand, spricht eine deutliche Distanz zum Bergbau jener Zeit und damit auch zur damals expandierenden industriellen Verwertung von Kohle und Eisen. Die Nutzung der unterirdischen Schätze der Erde entfernt den Menschen von der Orientierung an die Sonne, „die Knechte nicht liebt und der Sorge spottet“. Der Weg in Bergbau und Kohleförderung führt in Abhängigkeiten wie Fremdbestimmung und in ein risikoreiches Leben. Dem würden wir entgehen, wenn wir die Sonne und ihre Kräfte (be-)achten. Stattdessen graben wir in Bergschächten nach unterirdischen Schätzen, und wenden dabei der Sonne den Hintern zu.

Mit seinem Unbehagen stand Hölderlin nicht allein. Erinnert sei an Goethes Vorbehalte gegen das „sich ausbreitende Maschinenwesen“ oder an Heines Betrachtung zur Eröffnung der Eisenbahnlinie Paris – Calais, die mit Kraft und Schnelligkeit der rollenden Dampfmaschine unsere Maßstäbe für Raum und Zeit zu verschlingen drohe.

Dieses Unbehagen war für den Geist seiner Zeit nicht unbedingt repräsentativ. Aus heutiger Sicht können wir da mehr Verständnis aufbringen, seitdem deutlich geworden ist, dass die fossilen Energieträger die Nutzung solarer Energien nicht nur über ein Jahrhundert lang behindert haben, sondern – durch zu viel atmosphärisch entweichenden oxydierten Kohlenstoff – die Wirkungen der Sonnenkraft auf die Erde sogar in gefährlicher Weise modifizieren. Die Fixierung der industriellen Gesellschaften auf „dem heitern Lichte ferne“ Energien der Tiefe verdüstert die im Oberirdischen liegende Zukunft menschlicher Gesellschaften.

Aus zeitkritischer Sicht beunruhigend ist, dass die Fixierung auf fossile Energieträger Denken, Mentalität und Alltagsverhalten so sehr geprägt haben, dass es schwer fällt, sich von ihr in der gebotenen Geschwindigkeit und Gründlichkeit zu lösen. Trotz aller gut durchdachten und begründeten Analysen der letzten Jahre, die darlegen, wie eine Abkehr von „fossil“ geprägter Wirtschaft und Lebensführung technisch möglich wie ökonomisch vorteilhaft gelingt, bleibt doch die drängende Frage: Woran liegt es denn, dass ein zwingend notwendiger wie zugleich vorteilhafter Gesellschaftswandel in vielen Bereichen überhaupt nicht, in anderen nur zaghaft und unzureichend stattfindet? Warum setzen – um sich auf die altindustriellen Regionen zu beschränken – die meisten Staaten, Unternehmen und Menschen weiter vorwiegend auf die Energieerzeugung durch Kohle, Erdöl oder Erdgas, obwohl sie andere Wege einschlagen können und müssen? Warum verschieben oder scheitern seit nunmehr 18 Jahren Weltklimakonferenzen, obwohl sich die Voraussagen über das Ausmaß des Klimawandels und vor allem damit einhergehende Verschlechterungen und Risken von Jahr zu Jahr negativ überholen?
Ich will dieser Frage hier nicht generell , sondern beschränkt auf aktuelle Debatten über Sinn oder Unsinn der Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid nachgehen. Diese Technik mit dem inzwischen gebräuchlichen Kürzel „CCS“ wird propagiert, um die Energieerzeugung aus insbesondere der Kohle klimaverträglich fortsetzen zu können. Viele Staaten und global operierende Unternehmen sehen in der Einführung der „CCS-Technik“ einen verheißungsvollen Weg, die Emission von Treibhausgasen für die kommenden Jahrzehnte in Schach zu halten. Auch einflussreiche naturwissenschaftliche Gremien wie der Weltklimarat, das Öko-Institut in Berlin und vor allem leitende Vertreter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung befürworten die CCS-Technik als eine zentrale klimapolitische Option. Gestützt auf industrielle Interessen und Expertenurteile hat sich die EU eindeutig für die Förderung von CCS-Projekten entschieden; die Bundesregierung hat (Stand März 2010) eine Gesetzesvorlage zur Absicherung solcher Projekte angekündigt. Im Jahr 2009 wurde sie einzig wegen der damals anstehenden Bundestagswahlen zurückgestellt.

Die intensive Förderung und Verbrennung fossil abgelagerter Energieressourcen verkehrt den natürlichen Kohlenstoffkreislaufs in einer Weise, die mit der CO2-Abspeicherung in unterirdischen Bodenschichten ihre Vollendung fände. Bekanntlich entsteht und wächst organisches Leben dadurch, dass Pflanzen Kohlendioxid der Luft entnehmen und unter Einwirkung solarer Energie den Kohlenstoff abspalten. Wenn die Menschheit in nur wenigen Jahrzehnten den Kohlenstoff abgestorbener Tiere und Pflanzen, die in Jahrmillionen unter der Erde abgespeichert ist, durch Verbrennung in Kohlendioxid zurück verwandelt, reichert sich dieser zwangsläufig im Übermaß in der Atmosphäre an. Der Kohlenstoffkreislauf gerät aus dem Ruder. Statt diesen Prozess wegen seiner klimatischen Folgen zügig zu stoppen, wird er mit dem Einsatz der CCS-Technik fortgesetzt. Der natürliche Kreislauf wird umgekehrt: Kohlenstoff wird an die Oberfläche, das erzeugte Kohlendioxid tief unter die Erde befördert.

In Deutschland sind die Experten in der Bewertung der CCS-Technik gespalten. So kommt die 2008 veröffentlichte Analyse des „Sachverständigenrats für Umweltfragen“ zu einem negativen Urteil. Dasselbe gilt für Arbeiten aus dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ und natürlich für fachlich fundierte Einschätzungen aus dem Umkreis der Umweltverbände Greenpeace, BUND und NABU. Die Protokolle der Anhörung, die der Umweltausschuss des Bundestags 2008 durchgeführt hat, spiegeln deutlich die Spaltung der Fachwelt. Sollte man angesichts der auseinanderdriftenden Urteile nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ vorgehen und mit allerdings kritischem Auge abwarten, welche Ergebnisse Bemühungen um den Einsatz der CCS-Technik erbringen? Ohnehin steckt diese Technik in verschiedenen Weltregionen – USA, China, Norwegen, Teile der EU – in den Anfängen. Gebietet es nicht intellektuelle Redlichkeit, sie im Praxistest „sine ira et studio“ zu prüfen, statt sie vorab zu verwerfen?

Die Haltung vorurteilsfreien Abwartens wirft jedoch Probleme auf. Dass die CCS-Technik ein- und umsetzbar ist, kann und sollte zugestanden sein. Es wird aller Voraussicht nach im großtechnischen Maßstab gelingen, Kohlendioxid aus Abgasströmen abzuscheiden und in tiefliegende Erdschichten einzupressen. Zugleich aber sprechen starke Gründe dafür, den Nutzen der entwickelten Technik zur Eindämmung des Klimawandels in Zweifel zu ziehen.. Wie im folgenden darzulegen, käme die CCS-Technik zu spät zum Einsatz; sie kann eine sichere und dauerhafte Erdlagerung von CO2 nicht garantieren; sie erschwert einen technisch wie ökonomisch möglichen Umstieg auf erneuerbare Energien; insgesamt wird sie die Abhängigkeit der Energieversorgung von fossilen Ressourcen zeitlich verlängern, ohne aber eine zur Vermeidung katastrophaler Klimaveränderung erforderliche Verringerung des Treibhausgases Kohlendioxid zu erreichen. Dieses Dilemma führt zurück zu meiner Ausgangsfrage, warum an der fortgesetzten Verbrennung und Verstromung fossiler Ressourcen so zäh festgehalten wird.

2. Klimaschutz mit CCS ?

Die erste zu stellende Frage „ist die CO2-Abscheidung machbar?“ kann positiv mit dem Hinweis beantwortet werden, dass drei Verfahren bereits in Modellprojekten getestet wurden oder werden und dass sie teilweise in anderen industriellen Verfahren als der Kohleverstromung bereits erprobt sind. Nur muss das ebenso deutlich um den Hinweis ergänzt werden, dass eine vollständige Abscheidung des CO2 aus dem Emissionsstrom sich in keiner Weise abzeichnet. Die Zusicherung einer kohlendioxidfreien Stromerzeugung ist schlicht Zweckpropaganda. Eine vollständige Vermeidung von Treibhausgasen wird es bei Kohleförderung und –Verbrennung nicht geben. Zwar erreichte – um ein Beispiel zu nennen – der dänische Konzern Dong Energy in seinem Modellprojekt am Kraftwerk Esbjerg, eine Abscheidequote von 86 bzw. 87% des anfallenden CO2 . Doch fand das Experiment unter atypisch günstigen Bedingungen statt, da pro Stunde lediglich eine Tonne CO2 abgeschieden werden musste, weit unter einem Prozent dessen, was im wirklichen Kraftwerksbetrieb erforderlich ist. Zudem müssen wir im Ernstfall der Anwendung einer unstrittig komplexen Technik davon ausgehen, dass jederzeit Funktionsstörungen und Ausfälle auftreten und die CO2-Abscheiderate verringern können.

Eine Gesamtbilanz muss auch die vor- wie die nachgelagerten Emissionen an Treibhausgasen einbeziehen. So setzt der Bergbau, insbesondere der unterirdische Abbau von Steinkohle, große Mengen an Methan frei, ein Gas, das pro Referenzmenge weit „klimawirksamer“ ist als CO2. Ebenso zu beachten sind mögliche Leckagen bei Abtransport und Lagerung des erfassten CO2. Schließlich sind die Emissionen aufgrund des Energieeinsatzes in Rechnung zu stellen, die mit Bergbau, Transport und Betrieb der CCS-Anlage und die Einpressung des CO2 in den Untergrund anfallen.

Die bereits erwähnte Studie des Wuppertal-Instituts schätzt die Gesamtbilanz der Emissionen, gemessen in CO2-Äquivalenten auf 67-78%, variierend je nach Verfahren und eingesetztem Energieträger . Ein Kohlekraftwerk, dessen Jahresleistung eine CO2-Menge von sechs Mio. t verursacht, würde demnach – unter günstigen Bedingungen – weiterhin 1,3-1,9 Mio t an CO2 emittieren. Das ist ein zweifelhafter Klima“schutz“, vor allem, da die Forschungsaktivitäten und vor allem die Investitionsmittel, die in die noch langjährige Entwicklung der CCS-Technik fließende, für entsprechende Aktivitäten direkter Emissionsvermeidung durch solare Energien und Techniken der Energie-Einsparung fehlen.

Eine klimapolitische Bewertung der CCS-Technik muss neben den erreichten Erfassungs- und Abscheide-Graden von CO2 auch die Energiebilanz beachten. Alle Verfahren der CCS-Abscheidung machen einen beträchtlichen Zusatzaufwand an Energie unumgänglich. So trennt die von Vattenfall favorisierte „Oxyfuel“-Methode erst reinen Sauerstoff aus „gewöhnlicher“ Luft, um bei der anschließenden Verbrennung möglichst wenig vermischtes CO2-Gas zu erhalten. Die Sauerstoff-Trennung gelingt aber erst bei Temperaturen unter minus 200O C oder per Ausfilterung durch mikroskopisch feine Membranen. Das sind beides sehr energieaufwendige Verfahren. Das trifft ähnlich für die sog. „pre-combustion“ Methode, die das CO2 unter hohem Druck und Erhitzung auf 650-2000O C vorab aus der Kohle löst. Für die dritte erprobte Methode – die nachträgliche Abscheidung des CO2 aus dem Abgasstrom – ergab das erwähnte Esbjerg-Projekt in Dänemark Greifbares: Dort verringerte sich, je nach Versuchsanordnung, der Grad der Energieausnutzung von 45% auf 33,7% bzw. 35,2 % – unter günstigen Laborbedingungen! Um 85% des emittierten CO2 wieder einzufangen, musste ein rundes Drittel mehr an Kohle als im Normalbetrieb verbrannt werden. Hinzu käme noch der zusätzliche Energieaufwand für den Transport und die Lagerung des erfassten CO2. Die Anwendung der CCS-Technik muss mit dem Paradox leben, deutlich mehr Kohle als im „normalen“ Verbrennungsprozess einzusetzen, um dessen nachteiligen atmosphärischen Folgen abzumildern.

Die Energiebilanz der Stromerzeugung mit CCS-Technik verschlechtert sich zusätzlich dadurch, dass eine Nutzung der anfallenden Abwärme weitgehend ausgeschlossen erscheint. Wenn überhaupt, rechnet sich die aufwendige CO2-Abscheidung nur bei einem Einsatz in Großkraftwerken. Je größer die Anlage, desto geringer ist aber die Chance, die entsprechende größeren Menge an Abwärme für Heizzwecke zu nutzen. Zudem ist es aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wie der Risikovorsorge geboten, CCS-Kraftwerke im Umkreis geeigneter Lagerstätten für das abgeschiedene CO2 zu errichten. Diese Anlagen werden abseits der großen Städte liegen und fallen auch deshalb zur Deckung des urbanen Wärmebedarfs aus. CCS-Technik und Kraft-Wärme-Kopplung passen nicht zusammen. Angesichts des mit den Jahren immer kleiner werdenden Budgets noch zulässiger fossil basierter Stromerzeugung ist es immer weniger nachvollziehbar, ein Energiesystem so zu betreiben – oder zeitlich zu verlängern -, welches mit der Abwärme rund 50% der anfallenden Energie ungenutzt lässt.

Für eine klimapolitische Bewertung relevant ist weiterhin der Zeitpunkt, ab dem ein großtechnischer Einsatz der CCS-Techniken und ihre Anwendungsfähigkeit im großen Maßstab zu erwarten ist. Die Frühzeitigkeit des Einsatzes emissionsmindernder Maßnahmen entscheidet über ihre Wirksamkeit in einer Strategie des Klimaschutzes. Nach den Analysen des Weltklimarats muss die schrittweise Verringerung der gegenwärtig weltweit noch stark ansteigenden Gesamtemissionen von Treibhausgasen im Jahr 2015, spätestens im Jahr 2020, beginnen. Weitere zeitliche Verschiebungen verstärken den Prozess der Erderwärmung, mit katastrophalen Folgen, denen die heutige Zivilisation nicht gewachsen ist. Die befürchteten „tipping points“ wie ein Abschmelzen des Grönlandeises, flächendeckendes Auftauen der Permafrostböden oder Verschiebung von Meerströmungen wären dann nur noch mit einer Steigerung der jährlichen Reduktionsvorgaben in einem Ausmaß erreichbar, das weder technisch wie wirtschaftlich machbar erscheint.

Wann etwa ist eine großtechnisch gelingende und in den meisten Kohle-Kraftwerken der Erde angewandte CCS-Technik zu erwarten? Prognosen hierzu grenzen an Spökenkiekerei. Für das Verfahren der Abscheidung wurde 2008 ein Zeitraum von 15-20 Jahren geschätzt . Allerdings sind Voraussagen zur Einsatzfähigkeit komplexer Techniken regelmäßig zu optimistisch. Noch schwieriger sind zeitliche Schätzungen für anwendungsfähige Verfahren umfangreicher CO2-Lagerung. Hier besteht gegenwärtig noch großer Forschungsbedarf. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die CCS-Technik in der geforderten Wirksamkeit und Zuverlässigkeit ab 2020 verfügbar ist, also dem Jahr, mit dem eine Verringerung der globalen Gesamtemissionen spätestens einsetzen muss. „CCS“ wird, wenn überhaupt zu spät kommen und vor allem: Sie wird mit ihren dann nur Schritt für Schritt möglichen und weltweiten Einsatz die erhoffte Wirkung viel zu langsam entfalten.
Sehen wir uns als Beispiel eine zukünftige Kohleverstromung mit CCS in zwei Staaten – Deutschland und China – an.

Wenn Deutschland die derzeit für notwendig erklärten Ziele im Klimaschutz einhalten soll, müssen nach den Szenarien der Bundes-Umweltministeriums die CO2-Emissionen bis 2030 um 57%, bis 2050 um mindestens 80%, wahrscheinlich aber um 95% verringert werden . Erreichbar wird das nur, wenn Emissionen vorrangig im Stromsektor reduziert werden. Nach dem Leitszenario 2009 des BMU werden sich die CO2-Emissionen dieses Sektors von 305 Mio t 2008 auf 123 Mio t 2030 verringern müssen . Unter der eher zu optimistischen Annahme, dass im Jahr 2030 50% der fossilen Kraftwerksleistung mit voll funktionsfähiger und havariefreier CCS-Technik ausgerüstet sind, werden dann die Gesamtemissionen des Stromsektors bei 188 Mio t CO2 liegen. Vorausgesetzt ist, dass die C02-Reduktion bei Beachtung der gesamten Prozesskette mit 67-78%, also gemittelt 73% zu veranschlagen ist . Das 2030-Ziel im Stromsektor würde um 53% verfehlt, eine CO2-Gesamtverringerung von lediglich 50% wäre erreichbar. Hinzukommt, dass die Reduktionsziele in den vorausgehenden Jahren, in denen CCS noch nicht einsatzfähig sein wird, erst recht verfehlt werden.

Für das Jahr 2050 veranschlagt das Leitszenario maximal 25 Mio. t an zulässigen CO2-Emissionen im Stromsektor. Mit einem Einsatz von CCS-Technik an sämtlichen Kraftwerken wären es 70 Mio t, selbst das 2050-Ziel (80%, eher 95%) wäre deutlich verfehlt, die Gesamtemissionen könnten um lediglich 75% verringert werden.

Die Berechnungen unterstellen eine hohe (2030) bis vollständige (2050) Anwendungsfähigkeit der CCS-Technik, sie schließen Störfälle mit Emissionswirkung aus und nehmen einen zu 100% lückenlosen Transport und Speicherung des CO2 an; zudem berücksichtigen sie nicht, dass CCS-Technik einen hohen Energieeinsatz verlangt und folglich die Effizienz der fossilen Stromzeugung stark mindert. Die CO2-Emissionen werden also signifikant noch höher liegen, als die eben angestellte Schätzung ausweist.

In den Auswirkungen noch deutlicher würde China vertretbare klimapolitische Ziele verfehlen. Dort wurden und werden von 1995 bis 2010 Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 270.000 MW gebaut . Nehmen wir für das Jahr 2030 die für Deutschland geltende durchschnittliche Jahresvollbenutzungsdauer von 70%, also von rund 6.000 Jahresstunden an, sowie eine CO2-Emissionsquote pro erzeugter kWh von 800g. CCS-Technik in bereits errichteten Kraftwerken nachzurüsten, ist besonders kostspielig. Nehmen wir dennoch mit großem Optimismus an, dass bis 2030 ein Drittel des 1995-2010 errichteten Kraftwerkpark über störungsfrei funktionsfähige CCS-Anlagen verfügt. Setzen wir – wie in der Betrachtung zu Deutschland – eine durchschnittliche CO2-Reduktion um 73% voraus. Chinas 1995 bis 2010 errichteten Kohlekraftwerke würden dann im Jahr 2030 knapp 1 Mrd. t an CO2 ausstoßen, unter Verzicht auf CCS wären es 1,3 Mrd. t – kein nennenswerter Unterschied zur Fortsetzung der Kohleverstromung wie gehabt. Hinzukommt, dass eine CCS-Nachrüstung der hier nicht berücksichtigten Altanlagen aus der Zeit vor 1995 noch weniger wahrscheinlich ist. Nicht betrachtet ist ebenfalls der Kraftwerke-Neubau nach 2010, über den keine Angaben vorliegen. Angesichts der massiven industriellen Wachstumsorientierung in China ist mit einem erheblichen Zubau zu rechnen, der zunächst ebenso wenig mit CCS-Technik ausgerüstet werden kann wie bereits betriebene Kraftwerke.

Eine Politik, die der Dramatik des weltweiten Klimawandels gerecht wird, ist bei Einsatz von CCS-Technik auch in China nicht zu erkennen; insbesondere dann nicht, wenn wir an die umfangreichen solaren Potentiale denken, die dieses Staat mit seinen windreichen Küstenzonen und Gebirgszonen wie mit der Sonneneinstrahlung in den Wüsten des Landesinneren hat. Dort liegt der Schlüssel zum Aufbau einer weitgehend emissionsfreien Stromerzeugung.

3. Sichere Erdlagerung?

Die Erfassung der CO2-Emissionen dient dem Ziel, das Gas in tiefen Erdschichten ablagern zu können. Eine Ablagerung auf oder unterhalb von Meeresböden wird gegenwärtig wegen befürchteter Veränderungen der Meeresökologie kaum verfolgt. Neben ehemaligen Erdgas- und Erdölfeldern, bei denen jedoch immer undichte Stellen aufgrund unentdeckter Bohrlöcher zu erwarten sind, wird vor allem die Lagerung in tiefliegenden Salzstöcken verfolgt. Für jede Art von vorgesehener Deponierung muss vorab zuverlässig abschätzbar sein, dass sie einen sicheren Abschluss und diesen dauerhaft ermöglicht. Ein Entweichen des CO2 wäre, von akuten Gefährdungen der oberhalb lebenden Menschen und der natürlichen Lebensräume abgesehen, allein deshalb fatal, weil es das gesamte geotechnische Vorhaben desavouieren kann. Die Klimawirkung des so freigesetzten CO2 würde dann nur zeitlich verzögert und – bei anzunehmender Lagerung großer Mengen – in geballter Form eintreten . Selbst wenn es zutrifft, dass ein Teil des eingelagerten CO2 durch chemische Bodenreaktionen neutralisiert wird, muss ein sicherer Abschluss über mehrere Tausend Jahre gewährleistet sein.
Unstrittig ist, dass zur Risiko-Abschätzung und zum Risiko-Ausschluss einer CO2-Erdlagerung erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht. Einige der zu klärenden Probleme seien in Stichworten genannt:

  • Das CO2 kann sich mit dem salzhaltiger Wasser der Erdschichten zu aggressiver Kohlensäure verbinden, welche anliegende Bodenschichten, aber auch mechanische Abdichtungen des Erdlagers angreift und dadurch zu Leckagen führt.
  • Infolge der umfangreichen CO2-Verpressung können Bodenschichten und Grundwasserströme verschoben werden. Das wiederum kann entweder direkt oder über Kettenreaktionen Leckagen verursachen.
  • In Erdschichten, die bisher als undurchlässig galten, kann die Verpressung Brüche und Risse verursachen bzw. ausweiten.
  • Die CO2-Verpressung kann aufgrund dadurch bewirkter Bodenbewegungen Erdbeben auslösen, die wiederum Risse und Leckagen verursachen können. Aus dem Bergbau ist das ein durchaus geläufiges, häufig zu beobachtendes Ereignis. In letzter Zeit beunruhigt besonders, dass selbst geothermische Eingriffe möglicherweise Erdbeben und mit Sicherheit Erdrisse bis an die Oberfläche verursacht haben . Zwar reichen die fraglichen geothermischen Bohrungen lange nicht so tief in die Erde wie bei CO2-Verpressung erforderlich ist, der Bodeneingriff ist aber verglichen mit einer CO2-Verpressung im Umfang weitaus geringer. Die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben als Folge der CO2-Verpressung von Tonnagen in mehrstelliger Millionenhöhe ist daher als eher größer denn geringer einzuschätzen.

Die mit CCS-Forschung betraute Fachbranche sichert zu, diese und andere Risiken durch geologische Analysen für Ort und durch experimentelle Praxistests zuverlässig ausschließen zu können. Ihr Dilemma besteht jedoch darin, dass sie mit der Einlösung dieses Anspruch in einen methodischen Zirkel gerät:

Nehmen wir an, dass durch moderne Verfahren – zumeist durch Echolotung – im Untersuchungsfall die Erdschichten bis in die fraglichen Tiefe dicht und dreidimensional erfasst und kartiert werden. Nehmen wir weiter an, dass dieses Bild der Bodenverhältnisse auch Aufschluss darüber gibt, ob Schichten, die sich oberhalb wie seitlich des geplanten CO2-Lagers befinden, in ihrem derzeitigen Zustand sicher abdichten. Nur – damit wissen wir noch nicht sicher, ob und wie sich die Bodenschichten durch CO2-Verpressung verändern. Wir können folglich nicht ausschließen, dass ein Abschluss der Einlagerung zur Seite und nach oben in der vor der Verpressung festgestellten Vollständigkeit nicht mehr vorhanden ist.

Nun verfügt die Geophysik zweifellos über genauere Kenntnisse von Erdverschiebungen, ihren verursachenden Faktoren und möglichen Folgen. Wenn sie diese Kenntnisse auf den Anwendungsfall der CO2-Verpressung übertragen soll, muss aber zusätzlich geklärt sein, welche spezifischen Wirkfaktoren und welche möglichen Folgen für diesen jeweils besonderen Bodeneingriff relevant sind bzw. sicher ausgeschlossen werden können. Wie das ohne einschlägige Erfahrung zu CO2-Verpressungen im erforderlichen Umfang möglich sein soll, ist nicht ersichtlich. Wir benötigen dazu mindestens Ergebnisse aus einer umfangreichen CO2-Einlagerung an einem anderen Standort – nennen wir ihn A -, um dann Folgerungen für weitere Standorte – nennen wir sie B,C … – mit vergleichbaren Bodenverhältnissen ziehen zu können.

Methodisch bewegen wir uns also in einem Zirkel. Primärerfahrungen aus einem Anwendungsfall umfassender CO2-Verpressung bleiben immer vorausgesetzt. Zudem müssen diese Kenntnisse aus Beobachtungen über längere Zeiträume gewonnen worden sein: Schließlich ist es möglich, dass zu Leckagen führende Wirkungen einer CO2-Lagerung erst mittel- oder langfristig auftreten. Zum zweiten können wir nur dann von Fall A auf B,C schließen, wenn bei A, B und C … vergleichbare Bodenverhältnisse gegeben sind. “Ähnlich” und “vergleichbar” heißt nicht “identisch”. Dass an ähnlichen Standorten nach gleichen Eingriffen dieselben Reaktionen ablaufen, mag als wahrscheinlich gelten – es ist jedoch auf keinen Fall sicher. Wenn im Zeitraum der Beobachtung bei Fall A (noch) keine Erderschütterungen auftreten, schließt das zum einen nicht aus, dass sie zukünftig auftreten können; zum zweiten kann daraus erst recht nicht gefolgert werden, dass sie sich im Fall der potentiellen CO2-Lager B,C … mit Sicherheit nicht ereignen werden.

Die Einlagerung von abgeschiedenem CO2, zumal in den geplanten riesigen Dimensionen, bleibt hinsichtlich ihrer Risken, ihrer Sicherheit und Dauerhaftigkeit mit einem nicht aufhebbaren Schleier der Ungewissheit behaftet. Noch so gründliche Forschung vorab bewahrt uns nicht davor, mit der Einlagerung gleichsam in kaltes Wasser zu springen, dessen möglicherweise fatale Untiefen vorab nicht hinreichend zu erkunden sind. Das ist ein sehr hoher Preis für den Einsatz einer Technologie, die selbst in ihrem ersten Verfahrensschritt – der Gas-Abscheidung – lückenhaft bleibt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die notwendigen Ziele der Treibhausgas-Reduktion nicht erreichbar macht und – wie jetzt zu zeigen – einer konsequenten Solar- und Energieeinspar-Wende der Weltwirtschaft eher im Weg steht.

4. Blockierung einer Solarwende

Große Erwartungen an die CCS-Technik sind also unangebracht. Eine wichtige Rolle in einer Weltstrategie des Klimaschutzes wird ihr nicht zukommen. Stattdessen verlängert sie nur die Illusion, man könne ungestraft an den Techniken der fossilen Energienutzung weiter festhalten. Kein Politiker oder Manager – jedenfalls in Deutschland – der es heute wagt, die Kohle zu verteidigen, ohne zugleich die Segnungen zukünftiger CCS-Technik zu erwähnen.
Der Option „Kohle plus CCS-Technik“ sind aber nicht nur die dargelegten Defizite vorzuhalten. Sie erschwert zudem insgesamt die Chance, wirksamere Wege der Klimaschutzpolitik einzuschlagen. Nicht nur, weil dafür entsprechend Forschungsaktivitäten und Investitionsmittel fehlen. Sondern ganz unmittelbar dadurch, dass die immer weiträumige Einlagerung von CO2 in Erdschichten eine gleichzeitige energetische Nutzung der Erdwärme in demselben Gebiet ausschließt. Die Geothermie ist aber in winterkalten Regionen eine kaum verzichtbare Option, um den Restbedarf an Heizwärme abzudecken, der dort selbst bei niedrig-energetischer Bauweise erforderlich bleibt. Eine thermosolare Wärme (und Kälte-)Versorgung gelingt in diesem Regionen nur während der sonnenreichen Monate.

CCS-Technik bremst wirksame Klimapolitik auch dadurch aus, dass sie überwiegend in der Stromerzeugung eingesetzt werden soll. Bei der Erzeugung von „Strom“ ist eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien schneller und vollständiger realisierbar ist als im Personen- und Güterverkehr oder im häuslichen, gewerblichen und industriellen Heiz- und Wärmebedarf. Wie weltweiter Luft- und Schiffsverkehr ohne fossilen Kraftstoff in seinen gegenwärtigen Dimensionen – geschweige denn im prognostizierten ( und realitätsfernen) Wachstum – stattfinden kann, zeichnet sich bisher nicht ab. Ebenso wenig wird das gegenwärtige, erst recht ein als stark ansteigend angenommenes zukünftiges weltweites Verkehrsaufkommen zu Lande mit biogenen Kraftstoffen, mit erst durch Energiezufuhr zu gewinnendem Wasserstoff oder durch Elektroantrieb auch nur annähernd gedeckt werden können .

Um so wichtiger ist daher der zügige Aufbau einer ausschließlich solar – durch Wind, Sonne und durch Wasserkraft – bestimmten Stromversorgung in allen Weltregionen. Eine überwiegend oder ausschließlich auf solaren Systemen basierende Stromversorgung muss aber, mit Ausnahme der – aus ökologischer wie menschenrechtlicher Sicht umstrittenen – Stromgewinnung aus großen Stauseen, dezentral organisiert sein: Eine weit größere Anzahl von Erzeugungsanlagen, die jeweils vor Ort verfügbare Energiequellen in Strom umwandeln, müssen miteinander vernetzt werden. Das gilt ebenso für weiträumig angelegte Großprojekte, wie den Desertec-Plan. Auch hier müssen – bei der Windkraft besonders deutlich – viele kleine Energieanlagen vernetzt werden. Vor allem aber kann ein großräumiges Netz erneuerbarer Energieerzeugung die zugleich dezentral, lokal und regionale erfolgende Stromgewinnung nur ergänzen. Hinzukommt, dass solare Stromnetze eine hochgradige Flexibilität und die ständige Austarierung zwischen je nach Ort, Wetterlage, Tages- und Jahreszeit unterschiedlich verfügbaren Stromquellen verlangen. In einer solar geprägten Stromvernetzung sind daher Großkraftwerke, die nuklearen oder fossilen Brennstoff nutzen, störende Fremdkörper, da sie aufgrund ihrer Anlage und ihrer Energieträger in der Handhabung weit weniger flexibel sind. Nukleare Brennstäbe können beim gegenwärtigen Stand der Technik nur in voller Kapazität in Betrieb gesetzt, oder zur Gänze abgeschaltet werden. Der Verbrennungsprozess in Kohlekraftwerken verliert zudem an seiner ohnehin geringen Flexibilität, wenn er mit CCS-Technik ausgerüstet wird. So ist ein Kraftwerk, das sich zur CO2-Abscheidung der gegenwärtig von vielen Unternehmen favorisierten sog. Oxyfuel-Technik bedient, erst dann funktionsfähig, wenn die Luft, aus der reiner Sauerstoff abgespalten wird auf eine Temperatur von weniger als minus 2000 Celsius gesenkt worden ist.

5. Die Routinisierung fossiler Energienutzung

Warum werden große Erwartungen in eine Technologie gesetzt, deren Unzulänglichkeiten und Risiken schon vorab erkennbar sind? Warum wird damit weiter und unbeirrt die Nutzung fossiler Energieträger betrieben, obwohl die klimatischen Auswirkungen inzwischen lange und hinreichend bekannt sind? Warum wird auf die doppelte Sackgasse fossiler Energienutzung – Endlichkeit und Klimafolgen – mit einer Technologie reagiert, deren Verfechter zumindest eines zugeben müssen: dass für ihre Anwendung noch mehr karbonhaltige Ressourcen gefördert und verbrannt werden müssen?

Zur Klärung dieser Fragen auf ökonomische Gesichtspunkte zu verweisen, greift zu kurz. Ob sich die Verstromung der Kohle mit dann einzufordernder CCS-Technik überhaupt rechnet, muss gegenwärtig zumindest strittig bleiben. Eine Literaturübersicht für den Deutschen Bundestag kommt zum Ergebnis, dass die Stromgestehungskosten mit CCS um 30-50% steigen . Abschätzungen des Wuppertal-Instituts ergeben, dass die der zu erwartende Mix an Erneuerbaren Energien dann bereits kostengünstiger sind, wenn eine Anwendung der CCS-Technik im breiten Stil erst zu erwarten steht . Erst recht Anlass zu Skepsis gibt das Verhalten verschiedener Energiekonzerne. Das norwegische Unternehmen BKK hat sein CCS-Vorhaben am Gaskraftwerk Mongstad 2009 mit der Begründung eingestellt, dass der Einbau dieser Technik etwa so teuer käme wie das Gaskraftwerk allein . Dong Energy zog nach seinem wenig überzeugenden Modellversuch am Kraftwerk Esbjerg 10 seiner 11 geplanten Neubau-Projekte für Kohlekraftwerke zurück. Und RWE stellte im November 2009 den Plan eines ersten CCS-geführten Kraftwerks bei Hürth in NRW unter anderem deshalb zurück, weil es ohne staatliche Fördergelder – erwartet werden 50% der auf 2 Mrd. € bezifferten Kosten! – nicht rentabel ist. Selbst wenn es sich bei den geschilderten Beispielen um „Geburtswehen“ einer erst in Entwicklung begriffenen Technik handelt: Die Gewinnerwartung ist nicht der treibende Faktor.

Hier hilft die Überlegung weiter, dass die Nutzung kohlenstoffhaltiger Ressourcen Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur „extern“, sondern auch „intern“ prägt. Dass die Verwendung von Kohle, später von Erdöl und Erdgas, Basis der Industrialisierung ist, kann als unstrittig gelten. Die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen hat das gesellschaftliche Leben tiefgreifend und umfassend verändert. Heutige urbane Großräume hätten ohne die Bereitstellung von Energie aus „fossilen“ Ressourcen nicht entstehen können. Erst deren hohe Energiedichte und die Entstehung eines mit ihnen betriebenen Transportwesens – zunächst Eisenbahnen und Dampfschiffe – machten es möglich, den Energiebedarf über das zwangsläufig beschränkte Angebot lokaler und regionaler Ressourcen hinaus zu erweitern. Mit den herkömmlichen Energieträgern wären Industrialisierung und Urbanisierung in den Kinderschuhen stecken geblieben. Während um 1800 nur eine verschwindende Minderheit an Menschen in größeren Siedlungen lebte, die wir aufgrund ihrer geringen Größe heute allenfalls als Kleinstädte bezeichnen würden, erfasst die Urbanisierung 200 Jahre später bereits die Mehrheit der Weltbevölkerung, bei mehreren hundert Städten mit mindestens siebenstelliger Bevölkerungszahl. Doch auch die Strukturen dörflichen Lebens in den altindustriellen Ländern hängen allein aufgrund der hohen Transport- und Verkehrsansprüche von fossilen Energieträgern ab.

Das Angewiesensein auf fossile Ressourcen verfestigt Strukturen und Mentalitäten. Die Versorgung etwa mit Energieträgern ist in den altindustrialisierten Regionen auf Großkraftwerke ausgerichtet angelegt und durch Leitungs- und Lieferungs-Systeme für Strom, Erdgas und Erdöl zentralisiert. Eine Ersetzung der Energieträger durch andere ist innerhalb derselben Strukturen schwierig bis ganz unmöglich. So braucht eine Stromversorgung unter Nutzung nur erneuerbarer Energien andere Leitungs- und Regelungssystemen als die heute vorhandenen und genutzten.

Die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen prägt Einstellungen der Menschen zur Versorgung mit Energie. So wird mit der industriell ermöglichten Urbanisierung der Prozess der Gewinnung und Bereitstellung von Energie immer weniger durchschaubar, er verschwindet aus alltäglichen Erfahrungshorizonten. Strom, zunehmend auch Wärme, wird in Kraftwerken hergestellt, die sich anfänglich noch in oder direkt angrenzend an Siedlungen befinden, im weiteren Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung jedoch immer mehr „fernab“ liegen. Die Normalbürger, die Haushaltsgeräte nutzen oder die im strombetriebenen Schnellzug fahren, tun das gewohnheitsmäßig und selbstverständlich. Sie überschauen nicht – und müssen es auch nicht -, dass und vor allem wie ihr Alltagsablauf von komplexen Prozessen der Energiegewinnung, aus fossilen oder nuklearen Ressourcen, abhängt. Sie haben darüber bestenfalls ein abstraktes Wissen, doch wenig bis keine praktische Erfahrung. Die weitgehende Intransparenz eines Energiesystem, von dessen Funktionieren wir zugleich existentiell abhängen, erleichtert es hinzunehmen, dass eine fossil basierten Energieversorgung weiter betrieben wird, obwohl sie sich seit geraumer Zeit als eklatant zukunftsunfähig erwiesen hat.

Das gilt ebenso für Akteure in den Konzernen, welche die Fortsetzung der fossilen Energieversorgungsstrukturen betreiben und das – wie im hier betrachteten Fall – mit strittiger CCS-Technik absichern wollen. Man muss nicht Borniertheit, bösen Wille, nicht einmal reines Profitstreben unterstellen, sondern lediglich den so natürlichen wie in diesem Fall gefährlichen Hang, in den gewohnten und vertrauten Handlungsroutinen weiterzumachen. Um das zu verändern, im zukunftsfähigen Sinn „innovativ“ zu werden, ist ein außer-alltäglicher organisatorischer wie vor allem geistiger Einsatz erforderlich. Jedoch sind hohe Kapitalbeträge in die fossil geprägte Energiegewinnung geflossen, mit ihrem Aufbau und Management haben sich Handlungsroutinen gebildet. Scheinbare Sachzwänge sind dadurch entstanden, dass die Energieanlagen in großer Dimension errichtet wurden, dass die Energieversorgung weiträumig angelegt, zentral strukturiert, von Großkraftwerken gespeist ist.

Hochspannungsnetze binden die Versorgung mit Strom an diese Anlagen. Ein weiträumiges Netz von Pipelines und Flotten von Großtankern binden Gas- und Erdöl-Versorgung über Kontinente hinweg an die Förderregionen.
Eine Politik, welche die Abkehr von der fossilen – wie auch der nuklearen – Energiegewinnung bereibt, wird diese überdimensionierten Strukturen allein deshalb nicht übernehmen können, weil Potentiale wie Chancen erneuerbarer Energien stark auf Kleinräumigkeit und Dezentralität ausgerichtet sind. Innerhalb der eingerichteten und eingespielten Struktur der Energieversorgung haben fossil und nuklear betriebene Großkraftwerke immer die Nase vorn. Ihr relativer Vorsprung erklärt sich nicht aus ihrer Technik und ihren Energieressourcen, sondern gründet in der auf sie ausgerichteten Organisation der Energieversorgung. Es überrascht daher nicht, wenn Manager und Planungsstäbe von Unternehmen, die mit solchen Großstrukturen arbeiten und Geld verdienen, mit besonderen Erwartungen und Hoffnungen auf die Entwicklung der CCS-Technik setzen. Ermöglicht diese doch, Großkraftwerke weiter zu betreiben, durch neue Anlagen zu ergänzen oder zu ersetzen, ohne eingespielte Handlungsroutinen und Konzepte der Energiegewinnung überdenken zu müssen. Jedoch: Die technisch wie ökonomisch mögliche Neuausrichtung des gesamten Energiesystems auf solare Ressourcen, unter Dezentralisierung der Versorgungsstrukturen und gründlichen Einsparungen im Energiebedarf, droht mit der Routinisierung des ökonomischen wie gesellschaftlichen Handelns zu kurz zu kommen. Angesichts der Geschwindigkeit der Erderwärmung und der Dramatik ihrer Folgen wirkt sich die Macht der eingespielten Gewohnheiten hier fatal aus.

Auf, nicht in die Erde

Kommen wir auf die eingangs angesprochene Verkehrung des Kreislaufs zurück: Kohlenstoff, in gigantischen Mengen zutage gefördert, wird per Oxydation in CO2 zurück verwandelt. An sich ein essentieller Stoff für Aufbau und Erhaltung organischen Lebens, stellt sich heraus, dass er, im künstlich erzeugten Übermaß vorhanden, schwerwiegende Folgen hat. Also versucht man, Anteile des weiterhin produzierten CO2 in die Erde zurück zu treiben. Eine Kernaufgabe der kommenden Jahrzehnte wird aber sein, das bereits atmosphärisch vorhandene CO2 zu verringern. Verfahren, die das leisten, haben nicht nur klimaentlastende Wirkung, sie stärken auch die von Degradation und Übernutzung geschwächten terrestrischen Ökosysteme. Es gilt, bereits in der Atmosphäre vorhandenes CO2 abzubauen, also auf die Erde zu holen, statt immer neues zu erzeugen und in der Erde zu verstecken.

Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist der Schutz der wichtigsten CO2-Senke auf dem Erdboden, der Wälder; vor allem aber eine natur- und standortgemäße Wiederaufforstung. Wenn es in einer allerdings enormen Kraftanstrengung gelingt, die globalen Waldbestand um 25% zu erhöhen, würden pro Jahr rund 2 Mrd. t CO2 zusätzlich absorbiert. Über ein Jahrhundert gerechnet, entspricht das etwa der Menge, die gegenwärtig in 7 Jahren weltweit emittiert wird. Forschungs- und Entwicklungsbedarf gibt es für einen weiteren Weg, der zugleich erwarten lässt, dass sich die etwa von intensiver Landwirtschaft geschädigte Bodenfruchtbarkeit wieder verbessert. Aus der Herstellung von Holzkohle ist seit Jahrtausenden die Technik geläufig, Kohlenstoff bei Luftabschluss, also ohne Oxydation zu CO2 herzustellen. Diese Fertigkeit kann so verändert werden, dass die entstandene Holzkohle nicht verbrannt, also nicht in CO2 verwandelt , sondern stattdessen in Böden ertragssteigernd eingebracht wird . Ein anderes „Verfahren“ zur Bindung von CO2 ist die Wiederherstellung von Mangrovenwäldern in flachen Küstenzonen, Lebens- und vor allem Vermehrungsraum zahlloser Meerestiere und zugleich wichtiger Schutzwall gegen Stürme und Überschwemmungen. Auch können vegetationslose Salzwüsten und durch intensive Bewässerung versalzte Böden durch standortangepasste, salzverträgliche Pflanzengesellschaften aufgewertet werden und so CO2 binden.

Die Großrisiken des Klimawandels verleiten uns, Kohlendioxid als Schadstoff anzusehen. Vom „Klimagift CO2“ oder gar einer „Vermüllung“ des Himmels zu sprechen, stellt jedoch die Dinge auf den Kopf. Nicht das CO2, Voraussetzung allen organischen Lebens, ist das Problem, sondern seine übermäßige Neubildung, verursacht durch maßlose Einbringung des im Erdinnern abgespeicherten Kohlenstoffs in den oberirdischen Zyklus von atmosphärischem Gas und pflanzlichem Wachstum. Erst wenn wir das Un-Maß im Umgang mit Kohlenstoff beenden, lässt sich ein maßvolles Gleichgewicht zwischen Himmelsgas und irdischem Leben wiederfinden. Nicht nur menschliche Gesellschaften brauchen das, um in Zukunft – in den Worten Hölderlins – „ mit weniger Sorge und der Sonne zugewandt“ leben zu können.

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